Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
Kinn und hob sanft ihren Kopf an. »Du hast keinen Grund, dich zu schämen. Schau mich an.«
Zögernd kam sie der Aufforderung nach.
»Diese Eigenschaften sind eine Gabe, Rekla, und was du getan hast, ist ganz außerordentlich.«
Sie schluckte. »Aber ich bin doch böse ... Das ganze Dorf weiß es.«
Der Mann schüttelte heftig den Kopf. »Nein, du bist etwas Besonderes. Nur Einfältige nennen dies Bösartigkeit, Weise jedoch Gerechtigkeit. Ohne dass du es wusstet, hat mein Gott, Thenaar, durch dich gehandelt und seine Herrlichkeit gezeigt.«
Diese Worte reichten aus. Ein Gott, der ihr Tun lenkte. Ihr Fluch eine Gabe. Ihre Augen strahlten.
So lernte sie Thenaar kennen und erfuhr, dass sie ein Kind des Todes war. Und ihr wurde klar, wie falsch es war, jahrelang zu glauben, dass sie verflucht sei. Welch entsetzliches Missverständnis, wie viel unnötiges Leid! Nein, sie war gar auserwählt, von Thenaar, der die Siegreichen geschaffen hatte, und Aufgabe dieser Siegreichen war es, alle zu töten, die nicht an Thenaar glaubten und nicht von ihm auserwählt waren. Deren Blut musste fließen und Thenaar geopfert werden bis zu dem Tag seiner Wiederkehr.
Und Rekla war tatsächlich etwas Besonderes. Denn auch unter den Siegreichen, den Assassinen, kam es nur selten vor, dass jemandem das Töten derartige Freude bereitete. So entdeckte sie nun eine neue Welt. Sie musste sich nicht mehr schuldig fühlen, sich nicht mehr selbst bestrafen, durfte stattdessen jubeln und sich freuen, weil sie auserwählt worden war. All die Angst der zurückliegenden Jahre löste sich plötzlich auf, und Rekla war erfüllt von einer Heiterkeit, die sie bis dahin nicht gekannt hatte. Nun sah sie ihre Eltern als das, was sie wirklich gewesen waren: minderwertige, nutzlose Kreaturen, die den Tod verdient hatten. Thenaar wurde ihr ganzer Lebensinhalt. Dieser Gott hatte sie erwählt, und sie beschloss, sich ihm ganz hinzugeben. Ihm zu dienen, sollte ihr einziger Lebenszweck, jeder Atemzug ihm geweiht sein. Und sie würde nicht eher ruhen, bis sich sein Ruhm über die gesamte Aufgetauchte Welt verbreitet hatte.
Bald schon sah sie sich durch Thenaar belohnt. Als sie einmal vor seiner Statue kniete und zu ihm betete, vernahm sie plötzlich ein Flüstern, ganz leise nur, doch in dem Frieden, der sie überkommen hatte, konnte sie einige Worte verstehen. Ja, der Gott sprach zu ihr. Sie war so bewegt, dass ihr die Tränen kamen. Mit einem Mal verstand sie die ganze Größe ihrer Aufgabe, und sie bat ihn, sie niemals zu verlassen. Dann wolle sie ganz allein ihm gehören.
So vergingen die Jahre, und Rekla nahm immer bedeutendere Stellungen in der Gilde ein, bis sie schließlich zu den ältesten und ranghöchsten Siegreichen zählte. Sie wurde zur Expertin in der Welt der Gifte, studierte Kräuter- und Pflanzenkunde, und das zum Teil mit Büchern, die Aster selbst verfasst hatte. Ihre Meisterleistung war der Trank, der ihr die ewige Jugend schenkte. Sie hatte ihn selbst entwickelt und war besonders stolz darauf. Ein Trank, der nur sehr schwer herzustellen war, den sie sich selbst vorbehielt und eifersüchtig hütete. So war denn ihr nicht alternder Körper wie eine Maschine, ein Dolch in Thenaars Händen. Alles tat sie nur für ihren Gott. Bis zu ihrem letzten Atemzug wollte sie ihm im Vollbesitz ihrer Kräfte dienen. Auch wenn der Tod sie dennoch irgendwann ereilen würde, so aber in der Blüte ihrer Jugend, so flink und stark wie allezeit, als unfehlbare tödliche Waffe.
Ja, es war ein glückliches Leben. Weil ihr Leben ein Ziel hatte. Das hatte gefehlt in ihrer Kindheit, die wie ein Umhertaumeln in der Finsternis gewesen war, auf der vergeblichen Suche nach einem Halt, nach Freude. Erst der Glaube an Thenaar hatte ihr Dasein erstrahlen lassen, und ihr Weg war geradlinig und sicher geworden. Egal was geschah, immer wusste sie, dass er, ihr Gott, ihr beistand und immer beistehen würde.
Dann war Dubhe aufgetaucht, und alles hatte sich verändert. Solange das Mädchen in der Gilde weilte, war Reklas Welt noch in Ordnung. Ja, sie hatte es sogar gern übernommen, für die Neue verantwortlich zu sein. Sie empfand es als erregend, über einen Menschen, eine Untergebene, vollkommen bestimmen zu können. Aber dann, mit Dubhes Flucht, war schlagartig alles zusammengebrochen.
Rekla betrachtete den Vorfall als ihr persönliches Versagen. Schließlich war sie für Dubhe verantwortlich gewesen und hatte sich von ihr an der Nase herumführen lassen. Wären es nur
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