Die Schattenmatrix - 20
Regis eigentlich wusste, was Lord Aldaran von ihm hielt. Da nur sehr wenig, was auf Burg Comyn geschah, der Aufmerksamkeit seines Onkels entging, nahm Mikhail an, er musste es wissen. Er konnte nur hoffen, es störte Regis nicht.
Gisela hatte ihre beiden Kinder mit nach Thendara gebracht, und während der ältere Junge im terranischen Hospital dahinsiechte, war der jüngere auf Burg Comyn. Mikhail hatte den Burschen in den ersten Tagen gar nicht gesehen, und als es eines Nachmittags dann so weit war, stellte er fest, dass sich der kleine Rakhal gerade in der Erkundungsphase befand. Kaum kam er frisch aus der Badewanne, war der Kleine auch schon wieder schmutzig. Wie er das immer anstellte, war Mikhail ein Rätsel. Aber auf Grund seines neuen Interesses an Kindererziehung erlaubte er dem Knaben, auf seinem Schoß zu sitzen, in sein Gesicht zu patschen und Vorträge über die Dinge zu halten, die seinem jungen Geist anziehend erschienen. Mikhail stellte fest, dass sich Gisela von Rakhal zurückzog und dass sie ungeduldig mit ihm war. Es war offensichtlich, dass sie das Kind nicht mochte oder vielleicht Kinder im Allgemeinen nicht. Mikhail gab sich große Mühe, nachsichtig zu sein, aber die noch frische Erinnerung an Priscilla Elhalyns Vernachlässigung ihrer Kinder hatte ihn äußerst sensibel für dieses Thema gemacht. Er führte Giselas Verhalten auf die Abneigung gegen ihren toten Ehemann zurück und biss sich auf die Zunge, wenn sie sich mal wieder von dem schmuddeligen, aber süßen kleinen Jungen abwandte. Mikhail dagegen verbrachte möglichst viel Zeit mit den jüngsten Elhalyns, die nun gesünder und nicht mehr so ängstlich waren. Eines Nachmittags machte er mit Emun und mit seinen Schwestern eine Führung durch Burg Comyn - sie hatten noch nicht einmal die Hälfte geschafft, bevor die Kinder müde wurden -, und Mikhail war überrascht, welche Fragen die Kinder stellten. Einige konnte er nicht beantworten, etwa, wer das große weiße Gebäude erbaut hatte. Andere konnte er beantworten und tat es. Emun blieb nervös und angespannt und
erschrak vor Schatten und lauten Geräuschen. Mikhail bekämpfte die Verzweiflung, die jedes Mal in seiner Kehle aufstieg, wenn er den jungen Burschen ansah.
Er empfand eine große Erleichterung, als er eines Morgens aufwachte und die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken dringen sah. Mikhail schlug die Bettdecke zur Seite, zog sich eilig an und ging zu den Ställen, ohne sich mit einem Frühstück aufzuhalten. Ein anständiger Ritt würde ihm die Spinnweben aus dem Kopf blasen, ihm Bewegung verschaffen und ihn von den Intrigen in der Burg wegbringen.
Als Mikhail auf die verschneite Außentreppe trat, die in den Stallhof führte, sog er als Erstes die saubere Luft tief ein und spürte die frische Kälte auf den Wangen. Dann stieg er in den gepflasterten Hof hinab.
Als Mikhail die Gestalt in Reiterkleidung auf dem Pflaster stehen sah, sank ihm der Mut. Offenbar hatte Gisela den gleichen Gedanken gehabt wie er, oder vielleicht hatte sie seinen Entschluss vorausgeahnt. Sie wandte ihm den Rücken zu, und beinahe wäre er wieder ins Haus gegangen, um sich hinter der Tür zu verstecken, bis sie fort war. Doch er verkniff sich seinen Ärger. Der Morgen war zu schön, als dass er ihn in der Burg vergeuden wollte. Er seufzte, als ein Stallbursche ein Pferd für Gisela auf den Hof führte, eine kleine braune Stute mit weißen Fesseln. Ein Damensattel thronte auf dem Rücken des Pferdes, und der Stallbursche half Gisela gerade beim Aufsitzen, während Mikhail sich näherte.
Gisela setzte sich zurecht, sah Mikhail und warf ihm einen ihrer funkelnden Blicke zu. In seinem Leben waren schon viele Frauen hinter ihm her gewesen, aber keine hatte eine solche Entschlossenheit an den Tag gelegt wie diese hier. Mikhail sank das Herz in die derbe Reithose; es ließ sich nun nicht mehr umgehen, sie zu begleiten.
In dem Versuch, das Unvermeidliche hinauszuschieben, blieb er stehen und betrachtete sie einen Augenblick. Gisela trug schwere, dunkelgrüne Wollkleidung und einen kleinen, unpraktischen Hut mit einer Habichtfeder daran, rosa Kinderhandschuhe, so dünn, dass sie fast wie eine zweite Haut waren, und Reitstiefel in dem Blau, das man in den Hellers und den Trockenstädten bevorzugte. Sie gab durchaus ein anziehendes Bild ab, musste er einräumen, aber die blauen Stiefel bissen sich mit dem Grün ihrer Reitkleidung. Und ihre Handschuhe erinnerten ihn an Marguerida, deren Hände immer bedeckt
Weitere Kostenlose Bücher