Die Schattenmatrix - 20
Radau und so ganz anders als die unterschwelligen Strömungen auf der Burg. Einige Leute beobachteten die Reiter neugierig, und einige winkten ihnen zu, weil sie Mikhail erkannten.
»Du ähnelst wirklich nicht mehr dem Mann, der vor so vielen Jahren bei uns war, Mik.«
»Nein? Inwiefern habe ich mich denn nach deiner Ansicht verändert?«
»Damals warst du mir gegenüber nie so reserviert.« Sie klang zutiefst verwirrt und ein wenig gekränkt.
»Verzeih mir, wenn ich distanziert wirke, Giz. Ich hatte in letzter Zeit sehr viel um die Ohren.«
»Ach, herrje! Das sagen die Leute immer, wenn sie nicht aufrichtig sein wollen. Magst du mich denn nicht mehr?«
»Selbstverständlich mag ich dich! Wie kannst du nur so etwas Dummes sagen!« Es stimmte und stimmte gleichzeitig nicht. Er fand Gisela Aldarans Gesellschaft bezaubernd, sie besaß einen flinken Verstand und nahm kein Blatt vor den Mund. Aber daneben gab es so vieles, was er nicht sagen konnte, und all das lag ihm bitter, abscheulich und schwer auf der schweigenden Zunge.
Anstatt dem unguten Gefühl nachzugeben, dass man ihn missbraucht hatte, dachte er lieber über ihre Bemerkung nach. Hatte er sich wirklich verändert? Mikhail hatte zwar nicht den* Eindruck, aber er wusste, dass andere Menschen, die ihm nahe standen, auch nicht mehr dieselben waren wie vor zehn Jahren. Sah er sie mit anderen Augen, oder hatten sie sich tatsächlich verändert? Marguerida behauptete hartnäckig, dass Lew ein völlig anderer Mann sei als der, den sie als Kind gekannt hatte, und Mikhail empfand in geringerem Maße dasselbe bei Regis und Javanne. Dom Gabriel hingegen schien derselbe zu sein wie eh und je, höchstens noch ein wenig mürrischer und schlechter gelaunt.
Doch falls sich Mikhail tatsächlich verändert hatte, was war dann der Grund dafür? Mikhail war der Ansicht, dass sein Leben bisher reichlich normal verlaufen war - abgesehen von den Ereignissen in Haus Halyn oder seinen beiden Ausflügen in die Oberwelt mit Marguerida. Außer zu heiraten hatte er meistens getan, was man von ihm erwartete.
Marguerida behauptete, er habe einen neugierigen Verstand, ganz im Gegensatz zu seinem Vater, den sie als engstirnig abtat. Vielleicht war es so. Er interessierte sich für viele Dinge, angefangen von der Lebensweise der Terraner bis hin
zu der Frage, wie Darkover moderne Technik einsetzen könnte, ohne seine einzigartige Identität zu verlieren. Vielleicht hatte ihn das Ausmisten der Ställe in Haus Halyn verändert. Er hatte sicherlich seine Achtung vor all den Menschen vergrößert, die auf den Feldern und kleinen Höfen schufteten und ihm dadurch ermöglichten, ein bequemes Leben zu führen.
Gisela lehnte sich aus dem Sattel und streckte die Hand aus, als wollte sie nach Mikhails Handgelenk greifen. Sie hatte für seinen Geschmack eine viel zu vertrauliche Miene aufgesetzt. Die Krähe nahm Giselas Bewegung sofort wahr, spreizte ihre Schwingen und hackte mit dem scharfen Schnabel nach ihr. Die Frau schrie auf und zog ihre Hand mit einem Ruck zurück, wobei sie in ihrem Damensattel beinahe das Gleichgewicht verlor. Als sie wieder richtig sah, funkelte sie den Mann und die Krähe zornig an. »Diese Krähe ist ein abscheuliches Biest, Mik. Du weißt doch, dass diese Vögel Unglück bringen. Schick sie weg!«
»Ich weiß zwar, dass so etwas von den Krähen in den Hellers behauptet wird, aber es überrascht mich dennoch, aus deinem Mund einen so dummen Aberglauben zu hören. Du bist schließlich klug und gebildet. Außerdem ist das hier eine Seekrähe, und das ist etwas ganz anderes.« Mikhail war in seinem ganzen Leben noch nie so froh über eine Anstandsdame gewesen. Solange sie über den Vogel diskutierten, konnten sie nicht über ernstere Angelegenheiten reden. »Dieser prächtige Bursche hier hat mich bei meiner Ankunft in Haus Halyn begrüßt, mich an der Stechpuppe wahrscheinlich vor einem harten Schlag auf den Kopf bewahrt und sich entschieden, mich weit weg von seinem natürlichen Zuhause - hierher zu begleiten. Bestimmt war er dort der König, und irgendeine Aufsteigerkrähe hat jetzt seine Position eingenommen.«
Als hätte sie seine Worte verstanden, gab die Krähe einen heiseren Kommentar ab. Sie funkelte Mikhail aus ihren klei
nen Knopfaugen an, als wollte sie sagen: »Ich werde mit jedem Eindringling fertig.« Sie sah ernst und komisch zugleich aus, und Mikhail lachte leise; seine gute Laune vom frühen Morgen war wiederhergestellt.
Inzwischen hatten sie das Tor der
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