Die Schattenmatrix - 20
Mikhail unterdrückte einen
Schauder und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Das war eine Form von Zwang, die in seiner Zeit fast unbekannt war, aber er hatte während seines Aufenthalts in Arilinn davon gehört.
Man vernahm einen Ruf, und ein kleiner Esel trottete unter den Bäumen hervor. Auf ihm saß unbeholfen eine Frau, deren Beine fast über den nassen Boden streiften. Sie ritt an Dom Padraics Seite und sah ihn wütend an.
Er erwiderte den Blick mit funkelndem Hass, dann hob er seine Reitpeitsche und ließ sie auf die Schulter der kleinen Frau niedersausen. Die schwere Wolle ihres Überrocks dämpfte den Schlag, dennoch wäre sie fast aus dem Sattel gerutscht, in dem sie mehr hing als saß. »Unfähige Schlampe! Wem gehören die beiden? Warum kannst du sie nicht zu einer Antwort zwingen?« Die kleine Leronis sagte nichts, sondern schaute nur unglücklich drein, während der Regen auf ihr rundes Gesicht tropfte.
»Es tut nichts zur Sache«, zischte sie schließlich. »Sie sind stark genug, um bei dem Werk von Nutzen zu sein.« Sie sah Mikhail an und machte große Augen. Dann schüttelte sie den Kopf, als wollte sie einen beunruhigenden Gedanken verscheuchen. Mikhail hörte förmlich, wie sie sich weigerte, zu glauben, was sie da sah. Bevor er sich ihren Blick erklären konnte, unterbrach ihn Marguerida. Mik, ich habe wieder eine meiner verfluchten Visionen. Unser beider Geschick ist irgendwie mit dieser komischen kleinen Dame verknüpft und mit Dom Padraic ebenfalls. Mach vorläufig einfach mit.
Es bleibt uns wohl ohnehin nichts anderes übrig, oder? Mikhail hatte das Gefühl, dass ihm seit dem Ruf nach Hali selten eine Wahl geblieben war, und er empfand plötzlichen Groll.
Nein. Diese Männer - na ja, genau genommen sind es keine Männer - würden uns gefangen nehmen. Und die Frau versucht ständig, in meine Gedanken einzudringen, und in deine ebenfalls. Sie ist sehr neugierig in Bezug auf uns, hat aber zu viel Angst vor ihm, um etwas zu sagen.
Ich weiß.
Dom Padraic schnaubte und zuckte die Achseln. »Ihr werdet tun, was ich sage, und zwar ohne Fragen zu stellen. Haben wir uns verstanden?« Dann wendete er sein Pferd, ohne eine Antwort abzuwarten, offenbar daran gewöhnt, dass man ihm auf der Stelle gehorchte.
Mikhail fügte sich für den Augenblick und gab seinem Pferd die Sporen. Dann bemerkte er, dass die Krähe verschwunden war, und blickte sich suchend um. Als sie an dem Gehölz vorbeiritten, nahm er eine dunkle Gestalt und ein Aufblitzen von weißen Federn wahr. Der Vogel konnte gut für sich selbst sorgen, entschied er und hoffte nur, dass er es ebenfalls konnte.
Nach einem zweitstündigen Ritt kam ein Gebäude in Sicht, eine Burg von solchen Ausmaßen, dass Mikhail nur noch staunen konnte, auch wenn ihm zugleich der Mut sank. Es gab nicht eine Festung auf Darkover, die dieser hier gleichkam. Was Mikhail jedoch zutiefst erschütterte, war der Umstand, dass er nicht einmal von den Überresten eines solchen Baus wusste. Sicher, er hatte die Ländereien der Domäne Elhalyn nie vollständig erforscht, aber wenn die Ruinen dieses ungeheuren Steinhaufens dort irgendwo zu finden wären, hätte er mit Sicherheit davon gehört. Selbst wenn die Bauern die Steine jahrhundertelang geplündert hätten, wäre er nicht ganz abgetragen worden.
Das konnte nur bedeuten, das Gebäude wurde gänzlich zerstört, komplett aus der Erinnerung und der Geschichte gelöscht. Mikhail betrachtete niedergeschlagen die beiden mächtigen Türme, die sich hoch über der Burgmauer erhoben.
Ein seltsam schicksalhaftes Gefühl ergriff von ihm Besitz. Auch ohne ein Körnchen der Aldaran-Gabe wusste er in seinem tiefsten Innern, dass er mit der Zerstörung dieses Ortes zu tun hatte. Das stand so fest wie die Burg selbst. Hatte Varzil sie etwa nur von so weit hergeholt, um sie hier sterben zu lassen?
Er sah Marguerida an. Ihr Gesicht wurde zur Hälfte von der Kapuze verdeckt, aber was er davon sehen konnte, war sehr düster. Mikhail spürte, wie sie sich angestrengt konzentrierte. Offenbar setzte sie sich gegen die Leronis auf dem Esel zur Wehr. Und da war noch etwas. Aber was?
Mikhail blickte auf seine Hand hinab, an der Varzils Ring unter einem Handschuh verborgen war. Er spürte die Kraft, die dort ruhte, aber er wusste auch, dass er nicht die Fähigkeit besaß, sie zu nutzen. Noch nicht. Immer wenn Mikhail schlief, fühlte er den Ring, als würde er zu ihm sprechen. Beim Aufwachen war er jedes Mal verwirrt, als hätte jemand zu viele
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