Die Schattenmatrix - 20
sich zur Konzentration. Er zählte an den Fingern ab. »Wir müssen Amirya ausschalten, die Schirme vollständig vernichten und diesen Gelbstein loswerden. Und von hier fliehen«, fügte er noch hinzu, bezweifelte allerdings, dass sie überhaupt so weit kommen würden.
Marius lachte höhnisch. »Wir können kaum ohne fremde Hilfe aufstehen. Amirya hat uns gerade so viel Kraft gelassen, dass wir arbeiten konnten.«
»Was für eine Sorte Laran ist das eigentlich?«, fragte Davil. »Bist du ein Heiler oder ein Engel?«
Bevor Mikhail eine Antwort einfiel, bemerkte er, dass Amiryas Augenlider zuckten. Ihre Hand griff nach dem Sternstein, der zwischen ihren Brüsten hing. Mikhail hatte diese Geste schon einmal gesehen, und er hatte dabei eine so starke Empfindung seines eigenen Schicksals, dass ihm fast schlecht wurde. Er hatte sich auf diesen Moment vorbereitet, ohne es auch nur zu ahnen. Wenn er Emelda nicht begegnet wäre, könnte er jetzt nicht tun, was er tun musste.
Mikhail überwand seinen Ekel, streckte die Hand aus und nahm den Lederriemen zwischen die Finger. Ihre Blicke begegneten sich kurz, Amiryas war flehend, fragend. Als sich seine Hand um das schmale Band schloss, kämpften zwei star
ke Willen gegeneinander, und in Mikhail bekriegten sich Mitleid und Zorn. Amirya stieß einen dünnen Schrei aus, einen klagenden Ton der Verzweiflung, und sank zurück auf den Boden. Sie verdrehte die Augen, so dass nur noch das Weiße zu sehen war, und dann zuckte ihr ganzer Körper in wilden Krämpfen. Angewidert von seiner Tat, konnte Mikhail nur mit der Matrix in der Hand reglos dastehen, sich selbst hassen und sich gleichzeitig sagen, dass er keine andere Wahl hatte.
»Wieso weinst du um diese Kreatur?« Davils Frage riss ihn aus seiner Erstarrung, und er stellte überrascht fest, dass ihm Tränen übers Gesicht liefen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Mikhail und wischte sich mit dem Ärmel über die Wangen. Und er wusste es wirklich nicht, überwältigt von Gefühlen, wie er war. Er musste sich beruhigen, und zwar schnell. Später, wenn sie diesen verhassten Ort verlassen hatten, konnte er immer noch sich selbst, Varzil und sein Geschick verfluchen. Aber nicht jetzt.
»Es ist auch nicht schlimmer als das, was sie uns angetan hat«, murmelte Marius verbittert.
Betha hatte sich einem der in Betrieb befindlichen Schirme zugewandt, während Marguerida ihren Rundgang fortsetzte und die drogenverseuchten Körperzellen der Arbeiter reinigte. Mikhail sah, wie Betha, die wahrscheinlich Mechanikerin war, den Schirm fachkundig studierte. Dann baute sie vorsichtig die Kristalle aus, wobei die dicken Handschuhe sie behinderten. Einer der Männer, der bisher noch nicht gesprochen hatte, schloss sich ihr an, nachdem Marguerida ihre Arbeit beendet hatte, und gemeinsam hatten sie den Schirm im Nu funktionsuntüchtig gemacht.
Mikhail war immer noch äußerst aufgewühlt, und die Bewegungen der Leute ringsum kamen ihm sehr weit entfernt vor. Er versuchte sich auf die vor ihm liegenden Aufgaben zu konzentrieren, wohl wissend, dass Amirya noch der leichteste
Punkt auf seiner Liste gewesen war. Auch das Zerlegen der Schirme war dank kompetenter Techniker kein großes Problem. Aber die dicken Brocken standen ihm noch bevor, und Mikhail verzweifelte fast bei dem Gedanken.
Was konnte er wegen des Gelbsteins unternehmen? Und wie sollten sie von diesem fürchterlichen Ort entkommen? Zehn erschöpfte Leroni konnten es mit der Baracke voll bewaffneter Männer, die er auf seinen mentalen Spaziergängen entdeckt hatte, nicht aufnehmen, trotz Margueridas Fähigkeiten als Heilerin.
Mikhail schüttelte sich und verbannte die Ängste aus seinen Gedanken. Diese Leute erwarteten, dass er die Führung übernahm, und sicherlich ahnte keiner von ihnen, wie wenig er sich dieser Aufgabe gewachsen fühlte. Mikhail erkannte, dass er es einfach riskieren musste, dass er so gerissen sein mußte wie noch nie in seinem Leben. Laran war ja gut und schön, aber hier brauchte es mehr - zum Beispiel hundert Berittene, die die Festung angriffen. Er lachte leise über sich selbst.
»Dieser Raum da hinten - ich nehme Gelbstein in ihm wahr. Wie wird er aufbewahrt?«
Davil sah Mikhail interessiert an. »Es gibt Schirme, die den Stein an Ort und Stelle halten, aber er sickert dennoch durch, und wir haben schon mehrere Leute durch sein Gift verloren. Niemand, nicht einmal die Frau«, er deutete auf Amirya, »kann den Raum ohne Gefahr betreten, und wir alle haben uns vor dem
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