Die Schattenmatrix - 20
wieder klar, und Margaret bemerkte, dass sich vor ihr nichts bewegte. Es sah aus, als hätten sich alle in Stein verwandelt. Die Pferde wieherten nervös, und ein Maultier schrie, aber sonst war alles still. Margarets Verstand war völlig überrumpelt, aber mit einem kleinen noch funktionierenden Rest nahm sie zur Kenntnis, dass ihr Befehl keine Wirkung auf die Pferde und Maultiere gehabt hatte.
Benommen von dieser Wendung der Ereignisse starrte Margaret auf die Szene vor ihr. Dann konnte sie endlich schlucken, und gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie einmal mehr die Befehlsstimme benutzt hatte, jene besondere Alton-Gabe, die ihr erlaubte, über andere Menschen zu befehlen. Nicht alle Altons konnten sich ihrer bedienen, aber ihre musikalische Ausbildung hatte das angeborene Talent offenbar noch verstärkt.
Nun hätte Margaret eigentlich erleichtert sein können. Stattdessen fiel ihr siedend heiß ein, dass sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wie sie ihr Kommando wieder aufheben konnte. Während ihres Studiums in Arilinn hatte sie sich überhaupt nicht mit der Befehlsstimme befasst, obwohl sie und Liriel ein paar Mal darüber gesprochen und über Möglichkeiten nachgedacht hatten, wie man diese Gabe unter Kontrolle bekam. Niemand in Arilinn war an etwas anderem interessiert gewesen als an ihrer telepathischen Fähigkeit des erzwungenen mentalen Kontakts, und dass sie nicht versehentlich in das Bewusstsein von anderen eindrang. Sie hatte die Befehlsstim
me erst einmal benutzt, ebenfalls ohne Absicht, als der kleine Donal sie aus dem Schlaf weckte, und es hatte der vereinten Anstrengungen von ihrem Vater, Jeff Kerwin, Mikhail und Li-riel bedurft, das Problem wieder zu beheben.
Margaret scherte sich keinen Deut um die Banditen - falls sie erfroren, würden sie nur bekommen, was sie verdienten. Ganz anders verhielt es sich mit Rafaella und den übrigen Entsagenden sowie dem Händler. Sie musste sich schleunigst etwas einfallen lassen, um sie wieder zu erlösen, sonst würden sie alle sterben, wenn sie noch länger in dieser Kälte herumstanden.
Margarets Füße wurden zu Eisblöcken, und sie fing an zu zittern. Sie ging zum Feuer in der Mitte des Lagers hinüber und warf ein verkohltes Holzscheit ins Feuer. Gleichzeitig überlegte sie, was sie tun sollte.
Bei Donal, diesem Schlingel, hatte sie damals gesagt: »Hinaus«, und er hatte seinen kleinen Körper verlassen und war in die Oberwelt aufgefahren. Aber diesmal hatte sie nur »Halt« gerufen, deshalb sprach einiges dafür, dass sie niemanden an diesen furchtbaren Ort geschickt hatte, wo sie vor Monaten den Spiegelturm entdeckte und den Schatten von Ashara Alton besiegte. So weit, so gut. Jetzt musste ihr nur noch eine gute Lösung einfallen.
Sanft berührte sie Rafaellas ausgestreckten Arm und stellte fest, dass ihre Freundin recht kühl war, aber noch nicht kalt. Wie Margaret trug sie keine Stiefel und würde schnell auskühlen. Auf jeden Fall würden ihr die Zehen abfrieren, wenn sie noch lange hier stand. Dann versuchte Margaret, Rafaellas Arm zu bewegen und stellte fest, dass er zwar nicht steif, aber ein gewisser Widerstand zu spüren war. Margaret rüttelte ihre Freundin an der Schulter. »Wach auf, Rafi!«
Rafaella zeigte keine Reaktion, sie stand weiterhin da und starrte ihren Gegner mit grimmiger und entschlossener Miene
an. Margaret runzelte die Stirn. Vielleicht musste sie die Befehlsstimme einsetzen, um ihr Werk rückgängig zu machen. Aber wie? Sie wusste nicht, wie sie die Befehlsstimme bewusst einsetzen konnte - sie schien nur zu funktionieren, wenn sie gebraucht wurde. Was für eine nutzlose Sache!
Warum hatte ihr denn niemand von all den klugen Leuten in Arilinn beigebracht, wie man sich die Befehlsstimme zu Nutze machte? Oder auch, wie man es bleiben ließ! Der ganze Groll über die Feindseligkeiten, die sie hatte erdulden müssen, kochte wieder in ihr hoch, frisch und lebendig. Hatte in den alten Aufzeichnungen, die sie gelesen hatte, denn nichts gestanden, was ihr jetzt helfen könnte? Während Margaret sich das Gehirn zermarterte, spürte sie, wie die blauen Linien in ihrer linken Handfläche warm wurden. Sie fühlten sich an wie das Knistern von Elektrizität auf ihrer Haut, nicht schmerzhaft, aber störend. Einen kurzen Augenblick überlegte sie, ob sie die Schläfer wohl wecken könnte, indem sie sie einfach mit ihrer Matrixhand berührte. Aber dann fiel ihr der tote Räuber ein, und sie kam zu dem Schluss, dass sie nicht genug über ihre
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