Die Schattenträumerin
es.«
Francesca massierte fluchend ihr Handgelenk. Ihre Verstauchung war immer noch nicht vollständig verheilt und beim letzten Hieb hatte sie ein heftiger Schmerz durchzuckt.
Sie biss die Zähne zusammen und hob ächzend den Hammer, doch in diesem Moment fuhr Fiorella herum. »Hast du das gehört?«
Francesca zuckte zusammen. War es etwa schon so weit?
Sie hielten den Atem an und lauschten in die Stille.
Alles in Francesca hoffte, dass sich Fiorella getäuscht hatte. Ihre Hoffnung währte jedoch nur den Bruchteil einer Sekunde, dann hörte auch sie es.
Schritte hallten durch den Palazzo. Sie waren unnatürlich laut und schwer, wie Donnerschläge. Keinesfalls konnten sie von einem Menschen stammen.
Im Tempo von Francescas wummerndem Herzschlag kamen sie näher.
Bumm. Bumm. Bumm.
Fiorella packte sie an der Schulter und riss sie aus ihrer Starre. »Weiter!«
Es kostete Francesca all ihre Überwindung, sich von dem Geräusch loszureißen und erneut auf die Wand einzuschlagen. Sie wusste, dass der laute Knall Nyarlath sofort die richtige Richtung weisen würde.
»Jetzt ist das Loch groß genug«, rief sie Fiorella zu.
»Hier!« Nonna drückte ihr eine Taschenlampe in die Hand, die sie aus dem Werkzeugkoffer geholt hatte.
Francesca steckte den Kopf durch das Loch. Der Hohlraum war nur wenige Handbreit, dann begann schon die gegenüberliegende Wand. Der Schein der Taschenlampe beleuchtete die in der Luft tanzenden Staubkörner. Francesca kniff die Augen zusammen.
»Ich glaube, schräg unter mir auf dem Boden liegt etwas. Es sieht aus wie ein geschnürtes Bündel.«
»Das ist bestimmt der Dolch!«, jubelte Fiorella. »Kannst du ihn herausholen?«
Francesca streckte die Hand aus, doch sosehr sie sich auch anstrengte – ihre Fingerspitzen kamen nicht einmal in die Nähe des Bündels. »Das Loch ist zu weit oben«, stieß sie verzweifelt aus. Sie warf einen nervösen Blick durch den Türrahmen. »Wir haben keine Zeit mehr, das Loch zu vergrößern. Er scheint schon auf der Treppe zu sein, die zum Ballsaal führt.«
Mittlerweile war er so nahe, dass selbst der Boden unter ihren Füßen bei jedem seiner Schritte vibrierte.
Fiorella nickte. »Ich weiß«, erwiderte sie mit ruhiger Stimme. Sie schwieg einen Moment. »Du musst diesen Dolch herausholen! Ich versuche, ihn solange aufzuhalten.«
Francesca runzelte die Stirn. Was hatte Nonna vor? Sie war alt, blind und hatte einen gebrochenen Arm. Was wollte sie alleine gegen einen Dämon ausrichten?
»Aber wie …«, versuchte sie zu widersprechen, doch Fiorella schnitt ihr das Wort ab.
»Lass das meine Sorge sein! Dieser Dolch ist jetzt unsere einzige Chance.« Sie ging zurück in den Ballsaal. »Beeil dich!«, rief sie ihr über die Schulter hinweg zu.
Mit einem unguten Gefühl im Bauch sah Francesca ihrer Großmutter nach. Ob Fiorella überhaupt ahnte, was für einem dämonischen Wesen sie sich so todesmutig entgegenstellte? Und was war, wenn sie sich geirrt hatten und in dem Bündel überhaupt kein Dolch steckte?
Es gab nur einen Weg, dies herauszufinden – und Francesca hatte keine Zeit zu verlieren! Wenn sie Glück hatte und das Bündel schnell genug herausholen konnte, musste Fiorella den Dämon nur wenige Minuten beschäftigen.
»Da bist du ja endlich, Nybratzki«, hörte sie ihre Großmutter in herausforderndem Tonfall sagen. »Pünktlichkeit ist wohl keine ausgeprägte dämonische Eigenschaft, hm?«
Francesca hob den Hammer und hieb erneut auf die Mauer ein, sodass sie Nyarlaths Antwort nicht hören konnte. Dieses Mal setzte sie ihren Schlag tiefer an, in der Höhe, in der sie das Bündel gesehen hatte. Der Putz bröckelte ab und die Mauersteine bogen sich nach innen, doch es entstand kein Loch. Der Schlag war zu schwach gewesen. Ihre Kräfte ließen spürbar nach und das Pochen in ihrem verletzten Handgelenk wurde immer stärker. Ohne Atempause holte sie erneut aus, Schweiß rann über ihre Stirn. Dieses Mal lockerten sich einige Mauersteine und fielen zu Boden.
Sofort ging Francesca in die Knie und fasste in das kleine Loch. Ihre Finger glitten suchend umher, dann streiften sie über den Stoff des Bündels, doch sie bekam es nicht zu fassen. Francesca fluchte. Sie hatte sich verschätzt und ihren Schlag zu weit links angesetzt.
»… und wenn ich es dir nicht gebe? Was willst du dann tun?«
Obwohl sie wusste, dass sie weitermachen musste, wandte sich Francesca zur Tür. Sie sah Fiorella im Ballsaal stehen, die Schachtel, in der das
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