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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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nie hatte verstehen können, so musste Francesca doch zugeben, dass die Abmachung ihrer Großeltern sie auf ganz besondere Art berührte. Sie zeugte von einer Liebe, die es mit allen Gegensätzen und Widrigkeiten aufnehmen konnte. Eine Liebe, durch die man erst begriff, was Einsamkeit bedeutet.
    »Ich verspreche es dir, Nonna!«
    Fiorella lächelte sanft. »Danke, meine Kleine!«
    »Du bist nie über seinen Tod hinweggekommen, oder?«
    Fiorella schwieg einen Moment lang, dann begann sie zu rezitieren: »Wie zwei Blüten an dem Rosenstock für alle Ewigkeit verbunden, so sind auch unsere Herzen nicht zu trennen ohne Wunden. Wie das Rosenblatt im Winde tanzt, im altvertrauten Reigen sich zur Erde neigt, so verlässt du jetzt mein Leben, der Duft der Liebe für immer nun entweicht. In meinem Herzen kehrt jetzt Winter ein, reiche dir als letzte Gabe meine Rose mit und weiß: Von nun an wird jeder Sommer ohne Rosen sein.«
    »Das ist wunderschön und traurig zugleich«, sagte Francesca gerührt. »Ist das von dir?«
    Fiorella nickte leicht beschämt. Kaum hörbar flüsterte sie: »Bald werden wir wieder zusammen sein.«
    Francesca hatte einen dicken Kloß im Hals. Sie musste sich zwingen, die folgenden Worte auszusprechen: »Du bist sehr krank, nicht wahr?«
    Fiorella setzte sich ruckartig auf. »Woher weißt du das?«
    »Ich habe es mir zusammengereimt«, gestand sie. »Du selbst hast diese seltsame Andeutung gemacht, nachdem du aus dem Krankenhaus entlassen wurdest und Stella und Viola laufen seit Tagen mit rot geweinten Augen herum.« Violas Gespräch, das sie belauscht hatte, ließ sie lieber unerwähnt.
    Fiorella presste missmutig ihre Lippen zusammen und Francesca rechnete fast damit, dass sie alles abstreiten würde.
    »Na schön, in Anbetracht unserer Lage kann ich es dir auch erzählen. Wahrscheinlich ist jetzt sowieso alles egal«,meinte sie schließlich resigniert. »Als mich die Ärzte wegen der Gehirnerschütterung geröntgt haben, entdeckten sie einen Gehirntumor, den man nicht mehr entfernen kann. Sie haben gesagt, dass es ein langsamer, qualvoller Tod sein wird.« Sie setzte eine bekümmerte Miene auf. »Mein Körper wird sich nach und nach abschalten, bis ich schließlich vollkommen gelähmt sein werde und nicht einmal mehr sprechen kann. Weißt du, ich wollte nie auf diese Art und Weise sterben. Ein schnelles schmerzloses Ende wäre mir lieber gewesen.«
    Francesca schluckte schwer. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie fühlte sich in Nyarlaths Folterzimmer zurückversetzt, nur dass es dieses Mal allein ihr Herz war, das die Eisenhand zusammenpresste.
    »Nonna …«, sagte sie mit zittriger Stimme und fasste nach ihrem Arm. Fiorella zog wütend die Augenbrauen zusammen und entzog sich ruppig Francescas Griff.
    »Siehst du, genau deswegen wollte ich es dir nicht sagen«, keifte sie, nun wieder in ihrem üblichen dominanten Tonfall. »Du musst dir jetzt wegen wichtigerer Dinge den Kopf zerbrechen. Im Moment haben wir wirklich andere Sorgen. Du hast immer noch nicht meine Frage beantwortet: Was willst du tun, wenn Nyarlath gleich durch diese Tür marschiert kommt? Gibst du ihm das Buch oder nicht?«
    »Ich … ich …«, stammelte Francesca. Zwar wusste sie, dass ihre Großmutter recht hatte, doch nach dem, was sie gerade erfahren hatte, konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. In ihrem Kopf drehte sich alles.
    »Wenn es dein Gewissen nicht zulässt, ihm das Necronomiconzu übergeben, dann solltest du es auch nicht tun«, half ihr Fiorella auf die Sprünge. »Du könntest ihm das Necronomicon aber natürlich genauso gut in die Hand drücken und damit Venedig retten. Vielleicht ist hier unser Teil der Geschichte erfüllt und es soll der Kampf eines anderen sein, es ihm wieder abzunehmen.«
    Francesca musste zugeben, dass dieser Vorschlag äußerst verlockend klang.
    »Und? Was ist jetzt?«
    »Lass mich einen Moment darüber nachdenken«, bat Francesca.
    »Natürlich, lass dir ruhig Zeit«, meinte Fiorella bissig. »Bis unsere Knöchel im Wasser stehen, solltest du dich allerdings entschieden haben.«
    Francesca spielte gedankenverloren mit dem Stiel des Vorschlaghammers und ließ ihn immer wieder von der Mitte zur Seite kippen.
    Rechts. Fiorella hatte recht: Sollte sich doch jemand anders damit herumschlagen, dass ein bösartiger Dämon mit einem der mächtigsten Bücher der Welt herumlief. Heute Nacht ging es nur darum, Venedig zu retten.
    Mitte. Aber wenn niemand ihn aufhalten konnte? Wenn er

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