Die Schattenträumerin
Necronomicon mit dem Silber verstecktwar, hatte sie fest unter ihren Arm geklemmt. Die Spitze einer Pestmaske schob sich seitlich in das Bild, das sich Francesca bot. Nyarlath näherte sich Nonna! Die kleine, zerbrechliche Fiorella wirkte lächerlich hilflos im Gegensatz zur hochaufragenden Gestalt des Dämons.
Francesca griff hastig nach dem Hammer. Die Muskeln in ihren Oberarmen fühlten sich taub an und ihr schmerzendes Handgelenk konnte sie kaum noch bewegen. Sie glaubte, den Hammer kein einziges Mal mehr in die Höhe zu bekommen.
»Du weißt, was ich dann tun werde«, beantwortete Nyarlath die Frage Fiorellas mit einem drohenden Zischen. Nur Sekunden später begann die Erde zu beben.
Gelähmt vor Angst hielt Francesca inne. War es etwa schon so weit? Würde Nyarlath nun Venedig zerstören? Doch ehe Francesca entscheiden konnte, ob sie unter dem Türrahmen Schutz suchen sollte, war das Beben auch schon wieder vorbei. Es war nur eine Warnung gewesen. Nyarlath würde Venedig erst im Meer versinken lassen, wenn ihm tatsächlich keine andere Wahl mehr blieb. Trotz seiner Fremdartigkeit war Nyarlath ein lebendes Wesen und alles, was lebt, empfindet Hoffnung und Angst. Er wollte den Fluch nicht erfüllen, solange er sich an die Hoffnung klammern konnte, das Necronomicon zu bekommen. Ebenso ließ ihn die Angst vor der Existenz in einem Reich, das für seine Art begrenzend und wie ein Gefängnis war, zögern.
»Gib mir das Necronomicon, Weib!«, donnerte Nyarlath.
»Das musst du dir schon selbst holen, Dämon! Freiwillig gebe ich es dir nicht.«
Francesca biss so sehr die Zähne zusammen, dass ein unangenehmes Knirschen zu hören war. Mit all ihrer verbliebenen Kraft schlug sie auf die Wand ein. Dieses Mal war es ein Volltreffer. Direkt über dem Bündel klaffte nun ein großesLoch in der Wand. Sie griff hinein, während Fiorella im selben Moment einen gellenden Schrei ausstieß.
Mit fliegenden Fingern löste Francesca die Verschnürung und schlug den Stoff zur Seite. Da war er! Völlig unberührt von den Jahrhunderten, die er im Staub verbracht hatte, blitzte er ihr entgegen – Alessandros Dolch.
Sein silberner Schaft war mit Rubinen und Diamanten besetzt, die Klinge über und über mit fremdartigen Zeichen graviert. Doch Francesca nahm sich nicht die Zeit, ihn zu bewundern. Sie drückte den Dolch an sich und schnellte in die Höhe. Nonnas Schrei hallte in ihren Gedanken nach. Hoffentlich hatte er ihr nichts angetan!
Francesca lief in den Ballsaal und zog erschrocken die Luft ein. Fiorella lag auf dem Boden, schien jedoch nicht verletzt zu sein. Nyarlath war über den Karton gebeugt und öffnete ihn mit einem so begierigen Blick, dass er Francesca nicht einmal bemerkte. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis er das Necronomicon in Händen halten würde. Sie war zu spät gekommen!
Vielleicht hatte sie noch eine Chance, wenn sie Nyarlath direkt angreifen würde? Immerhin besaß sie jetzt einen magischen Dolch und der Moment schien günstig zu sein …
Aus den Augenwinkeln nahm Francesca eine Bewegung wahr. Fiorella schien ihr ein Zeichen geben zu wollen, denn sie fuchtelte aufgeregt hinter ihrem Rücken mit dem Finger herum. Stirnrunzelnd sah Francesca in die besagte Richtung. Hinter den Bodenplatten lag der geöffnete Koffer, bis auf das Salz jedoch leer. Als Francesca begriff, was ihre Großmutter ihr hatte zeigen wollen, musste sie den Impulsunterdrücken, einen Freudenschrei auszustoßen. Fiorella hatte Nyarlath ausgetrickst! Unter dem Berg aus Salz lugte ein Teil des Necronomicons hervor.
Sie blickte schnell zu Nyarlath, der gerade umständlich versuchte, das Silber aus dem Karton zu räumen, ohne es zu berühren. Dann huschte sie auf Zehenspitzen durch den Saal. Sicherlich blieb ihr nicht viel Zeit, ehe er feststellte, dass das Necronomicon nicht im Karton war. Unbemerkt gelangte sie zu dem Koffer und ging hinter den Bodenplatten in Deckung. Francesca strich das Salz zur Seite, das an ihren schweißnassen Fingern kleben blieb. Sie nahm den Dolch und rief sich Alessandros Worte in Erinnerung.
…nur das Blut eines Medici kann den Bann wieder aufheben … Wenn das Necronomicon dein Blut getrunken hat, bist du die Meisterin des Buches und kannst es vernichten …
Der Dolch zitterte, als sie ihn zu ihrer linken Hand führte und die Scheide in das Fleisch ihres Handtellers drückte. Francesca atmete noch einmal tief durch, dann zog sie die Scheide mit einem Ruck zurück. Trotz seines Alters war
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