Die Schattenträumerin
genug und sie hatte im Moment wahrlich andere Sorgen.
Gianna begann sich wieder heftiger herumzuwälzen. Ihr Albtraum war wohl doch noch nicht überstanden. Cosimo, der sich wie üblich auf ihrem Kopfkissen zusammengerollt hatte, beschwerte sich mit einem lautstarken Miauen und flüchtete sich mit einem geschmeidigen Sprung auf Francescas Bett. Selbst im schwachen Licht der Nachttischlampe glänzte sein Fell wie schwarzes Feuer. Er drückte zur Begrüßung seinen Kopf an ihre Stirn, setzte sich hoch erhobenen Hauptes auf Francescas Bett und blinzelte sie aus seinen bernsteinfarbenen Augen fragend an. Francesca grinste.
»Sehr wohl, Eure Hoheit«, antwortete sie leise. »Ich werde Euch nun ruhen lassen und weitere unliebsame Störungen von Euch fernhalten! In diesem Bett leidet zum Glück niemand unter Albträumen …«
… und dies hatte sie der Traumgondel zu verdanken. Francesca fasste in ihre Pyjamatasche. Es beruhigte sie, die fein gearbeiteten Linien und das glatte Holz unter ihren Fingern zu spüren. Seltsamerweise schien das Familienerbstück sie nicht nur vor dem Medici-Fluch zu beschützen – bisherwar sie als einziges Familienmitglied von den sich immer stärker ausbreitenden Albträumen verschont geblieben. Nach dem, was Francesca heute über das Necronomicon herausgefunden hatte, war sie davon überzeugt, dass dieses teuflische Buch dafür verantwortlich war.
Cosimo hatte sich inzwischen an ihre Seite gekuschelt und sich zu einem kompakten Fellknäuel zusammengerollt. Francesca betrachtete ihn versonnen.
»Du hast viel mit Venedig gemeinsam, kleiner Kater«, flüsterte sie ihm zu.
Ein Blick genügte, um die Herrschaftlichkeit, den Stolz zu erkennen, den sowohl das Tier als auch die Stadt ausstrahlten. Die Unbeugsamkeit, allem zu trotzen, was da kommen möge. Als ob nichts ihnen etwas anhaben konnte. Cosimos Wärme und seine ruhigen Atemzüge ließen Francescas Gedanken zur Ruhe kommen und ihre Augen wurden immer schwerer.
Gianna fuhr mit einem solchen Aufschrei in die Höhe, dass sowohl Francesca als auch Cosimo erschrocken zusammenzuckten.
»Hilfe … sind sie weg?« Völlig verängstigt sah sich Gianna um, ihr Atem ging stoßweise und ihre Hände krallten sich in der Bettdecke fest.
»Es ist alles in Ordnung!« Francesca setzte sich zu ihr aufs Bett und Gianna warf sich in ihre Arme.
»Es war so grauenvoll«, schluchzte sie. »Ich hatte solche Angst.«
Francesca strich ihr beruhigend über die Haare. »Es ist alles gut. Du bist in Sicherheit.«
Stimmte das wirklich? Plötzlich erkannte Francesca, dass sie von ihren Worten im Grunde selbst nicht überzeugt war. Waren sie im Palazzo in Sicherheit?
Sie spürte, wie sich Gianna langsam wieder beruhigte.
»War dein Traum so schlimm?«, fragte Francesca mitfühlend.
Gianna nickte und strich sich schniefend die Haare aus dem Gesicht.
»Ich lief im Palazzo einen düsteren Flur entlang«, begann sie mit leiser Stimme zu erzählen. »Die Tür zum Zimmer meiner Eltern stand offen und ein warmes, goldenes Licht drang daraus hervor. Ich wollte unbedingt dorthin, doch ich konnte dem Zimmer nicht näher kommen. Mein Hinken wurde mit jedem Schritt schlimmer. Es fühlte sich an, als würden meine Füße in Treibsand versinken. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ich beobachtet wurde. Dann sah ich sie. Es war etwas in den Wänden des Palazzos. Etwas bewegte sich darunter.«
Sie stockte und schlang fröstelnd die Arme um ihre Knie. »Etwas drückte sich daraus hervor, als wäre die Wand des Palazzos nur eine formbare Masse, die jahrelang das Böse in sich verborgen gehalten hatte. Es waren Gesichter. Grauenvolle, schreiende Gesichter mit nadelspitzen Zähnen. Sie schienen immer näher auf mich zuzukommen, sie rissen ihre Mäuler auf und riefen …«
»Ja?«
»Sie sagten: WIR KOMMEN«, flüsterte Gianna. »Nur diese zwei Worte. Immer und immer wieder. WIR KOMMEN. WIR KOMMEN. WIR KOMMEN.«
Eine unangenehme Stille hatte sich zwischen ihnen ausgebreitet. Nur mit Mühe gelang es Francesca, die innere Kälte, die sich bei Giannas Erzählung in ihr ausgebreitet hatte, abzuschütteln.
Sie räusperte sich. »Dafür, dass du keine großartigen Erfahrungen mit Albträumen hast, war der gar nicht so schlecht«, meinte sie in lockerem Ton. »Da waren einige schön gruselige Komponenten drin. Wenn du so weitermachst, wirst du vielleicht noch so gut wie ich.«
Gianna verzog ihr Gesicht zu einem Grinsen. »Jetzt untertreib mal bitte nicht – der war
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