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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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spitzenmäßig gruselig«, widersprach sie schnaubend. »Du bist nur neidisch, dass ich als Anfängerin fast schon so gut bin wie du. Aber wahrscheinlich hast du mich überhaupt erst angesteckt. Wir haben Albträumeritis oder so etwas.«
    »Ja, das wird es wohl sein.«
    Schade, dass es nicht tatsächlich so einfach war, dachte Francesca bitter. Dann könnten sie eine Medizin dagegen einnehmen und alles wäre wieder in Ordnung. »Es ist spät. Wir sollten uns wieder hinlegen.«
    »Auf keinen Fall!«, sagte Gianna entschieden. »Ich will nicht mehr schlafen. Noch einen Albtraum ertrage ich nicht.«
    Francesca lächelte traurig. Dieses Gefühl kannte sie nur allzu gut. »Dann muss ich wohl den Gute-Träume-Notfallplan meiner Mutter einleiten. Zuerst gehe ich in die Küche und mache dir einen Ginoh …«
    »Einen was?«
    »Ginoh – das ist warme Milch mit Honig und Zimt. Währenddu den langsam Schluck für Schluck trinkst, reden wir über deine schönsten, größten und allerheimlichsten Wünsche. Die Wünsche, die so toll sind, dass du schon vom Gedanken daran ein Kribbeln im Bauch bekommst«, erklärte Francesca. »Ach ja, und der Ginoh muss geschlürft werden, das ist wichtig. Ohne lautstarkes Schlürfen funktioniert es nicht. Aber dann hilft es garantiert, du wirst sehen!«
    »Das klingt gut!« Gianna warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Aber nur, wenn du dich nach meinem spitzenmäßig gruseligen Albtraum überhaupt noch alleine in die Küche traust – nachher habe ich dir zu viel Angst eingejagt! Mich könnte jetzt selbst Nonna nicht dazu bringen, dieses Zimmer zu verlassen.«
    Francesca öffnete die Tür, schaltete das Licht im Flur ein und sah demonstrativ nach rechts und links. »Die Wände sehen aus wie immer, nirgendwo bewegt sich etwas. Beruhigt dich das?«
    »Ungemein. Aber beeil dich bitte trotzdem!«
    Auch Francesca war insgeheim erleichtert, dass der Palazzo Ca’nera in friedlichem Schlummer vor ihr lag. Nirgendwo war auch nur ein ominöser Schatten zu sehen. Um niemanden aufzuwecken, schlich sie auf Zehenspitzen die Treppe hinunter in die Küche. Schon nach wenigen Minuten dampfte der Ginoh in Giannas Lieblingstasse und der angenehme Duft von Zimt stieg Francesca in die Nase. Die Kälte des Marmorfußbodens kroch über ihre blanken Füße nach oben und ihre Zehen fühlten sich schon taub an. Sie hätte daran denken sollen, ihre Hausschuhe anzuziehen – im Winter verwandelte sich der Palazzo in einen Eispalast.Francesca steckte noch einige Karamellbonbons in ihre Pyjamatasche und machte sich eilig auf den Rückweg. Als sie jedoch durch die Küchentür schlüpfen wollte, hielt sie erstaunt inne.
    Merkwürdig, sie hätte schwören können, dass sie das Licht im Flur angelassen hatte. Sie griff nach dem Schalter, doch es blieb dunkel. Nur der Lichtschein aus der Küche erhellte das Stück des Flures direkt vor Francesca, danach erhob sich eine Mauer aus Finsternis. Vielleicht war die Sicherung herausgeflogen? Sie wusste, dass Emilio und Antonio begonnen hatten, in den neuen Gästezimmern Elektroleitungen zu verlegen. Es sähe den beiden Hobbyhandwerkern ähnlich, wenn sie dabei die Stromversorgung des ganzen Palazzos durcheinandergebracht hätten.
    »So ein blöder Mist!«, fluchte sie leise.
    Sie drehte sich wieder um und durchsuchte die Küchenschubladen nach einer Taschenlampe. Doch alles, was sie fand, waren ein roter Kerzenstummel und Streichhölzer. Francesca stieß enttäuscht die Luft aus. Die Vorstellung, sich im flackernden Schein einer Kerze die weit geschwungene Steintreppe nach oben tasten zu müssen, war nicht gerade angenehm. Einen Moment lang erwog sie ernsthaft, bis zum Morgengrauen in der hell erleuchteten Küche zu bleiben. Sie warf einen betrübten Blick auf ihre Füße. Allerdings wären bis dahin wahrscheinlich ihre Zehen abgefroren und Gianna würde sich mit Sicherheit Sorgen um sie machen. Sie hatte wohl keine andere Wahl. Francesca zündete die Kerze an, steckte die Streichhölzer ein und verließ mit zögernden Schritten die Küche.
    In der einen Hand Giannas Tasse, in der anderen die Kerze, trat sie in die Finsternis. Francesca fühlte sich, als würde sie am Grunde eines schwarzen Sees durch die Dunkelheit treiben. Die Kerze spendete ihr dabei nur wenig Trost, denn mit ihrem spärlichen Licht kamen die Schatten. Sie huschten umher, glitten als tanzende Fratzen über die Wände und starrten Francesca aus blinden Augen an. Sofort musste sie an Giannas Albtraum denken. Sie

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