Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
Vom Netzwerk:
zwang sich, weiterzugehen und starr geradeaus zu blicken. Trotzdem nahm sie die Schatten wahr, die sich mal links, mal rechts von ihr zu Säulen aus Finsternis verdichteten und zu gewaltigen Ungeheuern heranwuchsen, die nach ihr greifen wollten. Je näher Francesca ihnen kam, desto kleiner wurden sie und stellten sich schließlich als ein harmloses Möbelstück oder eine Marmorsäule heraus. Wo war nur diese verflixte Treppe? Hätte sie sie nicht schon längst erreichen müssen? Halb blind tapste sie weiter vorwärts.
    »Autsch!«
    Francesca fuhr schmerzerfüllt zusammen. Sie war mit den Zehen gegen den Treppenabsatz gestoßen und hatte dabei einen Teil der Milch verschüttet.
    »Na toll, das wird ja immer besser!«, stöhnte sie leise. Sie musste vorsichtiger sein, ansonsten kam sie bei Gianna noch mit einer leeren Tasse an und all dies wäre völlig umsonst gewesen!
    Alarmiert horchte Francesca auf. War da nicht ein Geräusch gewesen? Eine kalte Gänsehaut kroch ihren Rücken hinauf. Ihre Hand schloss sich so fest um den Kerzenstummel,dass sich ihre Fingernägel ins Wachs bohrten. Regungslos lauschte sie in das Dunkel.
    Da –
    … war das nicht das weit entfernte Schlurfen von Schritten?
    Francesca hielt den Atem an. Die Kerze in ihrer Hand zitterte, sodass die Flamme hin- und herzuckte und die Schatten um sie herum einen wilden Tanz aufführten.
    Nein. Es war nichts mehr zu hören. Sie schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hatte ihr Giannas Albtraum mehr zugesetzt, als sie sich hatte eingestehen wollen und ihre Nerven spielten ihr nur einen Streich.
    »Ich muss mich endlich zusammenreißen!«, befahl sie sich selbst. Es war doch wirklich kindisch, wie sie sich hier aufführte. »Es ist nur das Licht ausgefallen, nichts weiter!«
    Sie stieg die herrschaftliche Treppe des Palazzos hinauf. Das Patschen ihrer bloßen Füße hallte einsam durch den hohen Raum über ihr.
    Francesca fröstelte. Bildete sie sich das nur ein oder war es plötzlich um einige Grade kühler geworden? Ihr Atem bildete vor ihrem Gesicht kleine Wölkchen. So eisig war es im Palazzo vorher noch nie gewesen … Obwohl sie so schnell wie möglich zu Gianna zurückkehren wollte, wurde sie mit jeder Stufe langsamer.
    Francescas Sinne waren zum Zerreißen angespannt. Sie blieb stehen.
    Sie wusste, dass sie nicht mehr alleine war.
    Mit der Dunkelheit war noch etwas anderes gekommen.
    Etwas war hier … etwas Böses.
    Und es lauerte in den Schatten.
    Ein Hauch, der sich so lebendig anfühlte wie der Atem eines Lebewesens, streifte ihr Gesicht. Die Kerzenflamme flackerte und für einen schrecklichen Moment dachte Francesca, dass sie ausgehen würde. Der Gestank von Fäulnis stieg ihr in die Nase und ließ sie würgen. Sie kannte diesen Geruch. Erst wenige Stunden zuvor hatte er sie schon einmal eingehüllt. Francesca entglitt die Tasse. Sie fiel mit einem lauten Knall zu Boden.
    Hektisch fuhr sie herum, drehte sich um ihre eigene Achse, die Kerze hoch erhoben, um etwas erkennen zu können. Ihre Augen huschten ängstlich umher. Es war nichts zu sehen.
    Sie taumelte zur Seite und griff Halt suchend nach dem Geländer. Wie war das möglich? Sie hatte die Berührung so deutlich gespürt, als wäre ihr jemand mit der Hand über das Gesicht gefahren!
    Endlich schaltete sich wieder ihr Verstand ein. Was machte sie hier eigentlich? Wie ein verängstigtes Opferlamm stand sie regungslos auf der Treppe herum! Was es auch gewesen sein mochte, das sie gestreift hatte, es war auf alle Fälle noch hier und es würde sich bestimmt nicht damit zufriedengeben, ihr nur einen kleinen Schrecken einzujagen. Jetzt war nur eines wichtig: Sie musste so schnell wie möglich raus aus der Dunkelheit, zu Gianna!
    Hastig stieg sie über die Scherben der Tasse hinweg und eilte die Stufen nach oben. Noch nie war ihr die Treppe derart lang vorgekommen, sie schien sich ins Unendliche auszudehnen. Francesca keuchte erleichtert auf, als sie imschwachen Schein der Kerze den obersten Treppenabsatz ausmachen konnte. Ihre Schritte beschleunigten sich noch einmal, ihr rechter Fuß trat ins Leere, sie rutschte ab und ihr Knie knallte mit voller Wucht auf eine der Steinstufen. Francesca rutschte benommen einige Stufen abwärts. Ihr Knie schmerzte und war erfüllt von einem stetig anschwellenden Pulsieren. Aber sie hatte keine Zeit, darauf zu achten. Sie musste weiter! Sie richtete sich auf – und erstarrte.
    Von oben drang ein Geräusch durch das Dunkel, das ihr das Blut in den Adern

Weitere Kostenlose Bücher