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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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Wutausbruch schon bereut, aber bisher hatte sie keine Gelegenheit dazu gehabt, sich bei Fiorella zu entschuldigen. Am Abend hatte ihre Großmutter auf ihrem Zimmer speisen wollen und ausdrücklich verlangt, dass Gianna ihr das Essen brachte. Das war ein eindeutiges Signal an Francesca gewesen. Zu allem Überfluss schienen sich Gianna und Fiorella auch noch prächtig verstanden zu haben, denn Gianna blieb bis zum späten Abend bei ihrer Großmutter. Francesca verzog das Gesicht. Wurde sie jetzt etwa auf ihre eigene Cousine eifersüchtig? Das war doch lächerlich! Natürlich hatte Gianna genauso viel Recht wie sie, Zeit mit ihrer Großmutter zu verbringen. Nichtsdestoweniger versetzte es Francesca einen Stich, dass Fiorella es abgelehnt hatte, sie zu empfangen undsie hatte nicht den Mut dazu aufgebracht, trotzdem zu ihr zu gehen. Auch weil sie befürchtete, dass Fiorella, sobald sich Francesca bei ihr entschuldigt hatte, von ihr erwarten würde, im Necronomicon zu lesen. Aber auch wenn Francesca ihre Worte bereute, so hielt sie immer noch an ihrem Entschluss fest. Es war richtig gewesen, sich so zu entscheiden! Doch warum fühlte sie sich dann so elend? Mit einem tiefen Seufzer drehte sie sich auf den Rücken.
    Und wie sollte es jetzt weitergehen? Wollte sie Fiorella tatsächlich alleine nach der Ursache dieses ominösen Fluches fahnden lassen? Ihre Großmutter schien nicht einmal zu ahnen, mit welchen Mächten sie es zu tun hatte. Francesca konnte sie nicht einfach im Stich lassen! Sie beschloss, auf eigene Faust weiterzumachen und am nächsten Morgen in die Nationalbibliothek zu gehen. Eine innere Stimme sagte ihr, dass ihr Großvater den Zettel mit dem Buchtitel nicht zufällig dort deponiert hatte. Vielleicht hatte er damit gerechnet, dass etwas Schlimmes passieren und es ihm nicht gelingen würde, den Fluch aufzuheben? Konnte es nicht sein, dass er mit dem Zettel eine Spur für seine Nachkommen hatte legen wollen? Es war auf alle Fälle wert, dieser Sache nachzugehen.
    Von der anderen Seite des Zimmers erklang ein Stöhnen. Gianna schien auch in dieser Nacht von einem Albtraum gequält zu werden. Francesca setzte sich auf, knipste die Nachttischlampe an und schlich zum Bett ihrer Cousine. »Gianna, wach auf!« Sie rüttelte sanft an Giannas Schulter. »Du hast nur einen Albtraum. Hörst du mich? Du musst aufwachen!«
    Doch Giannas Gesicht blieb verzerrt, ihre Augen geschlossen. Sie war in ihrem Albtraum gefangen.
    Es versetzte Francesca einen Stich, sie so zu sehen. Jahrelang war sie es gewesen, die so dagelegen hatte, und Gianna hatte währenddessen an ihrer Seite gewacht und beruhigende Worte geflüstert. Worte, die Francesca nicht erreichen konnten, da sie an einem düsteren Ort gefangen war. Es war ein seltsames Gefühl, dass nun die Rollen vertauscht waren. Francesca strich über Giannas schweißnasse Stirn und hatte die Hoffnung, dass sie damit die bösen Bilder wegwischen konnte, die sich gerade in Giannas Kopf abspielten. Vielleicht sollte sie zu härteren Methoden greifen, um sie aufzuwecken? Gerade als Francesca erwog, ihr einen kalten Waschlappen in den Nacken zu drücken, wurden Giannas Bewegungen ruhiger und ihr Stöhnen ließ nach.
    Erleichtert kroch Francesca in ihr Bett zurück. Sie ließ das Licht brennen und lehnte sich mit dem Kissen im Rücken an die Wand. An Schlaf war sowieso nicht zu denken. Mit einem bedauernden Blick sah sie auf den Roman, der auf ihrem Nachttisch lag. Mit Lesen konnte sie sich leider auch nicht ablenken. Denn der Streit mit ihrer Großmutter war nicht das einzige Desaster des vergangenen Tages gewesen. Vor dem Schlafengehen hatte Francesca nach einem ihrer Bücher gegriffen, das sie von ihrer Mutter zu Weihnachten bekommen hatte. Sofort war ihr aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. Von den hinteren Seiten glitschte eine klebrige Flüssigkeit. Jemand hatte in jedem einzelnen Buch die letzten fünfzig Seiten mit Kleister zugeklebt. Francesca musste nicht lange überlegen, wer dafür verantwortlich war:Luca. Er hatte Wort gehalten und Rache genommen. Sie war zwar so einiges von ihm gewohnt, aber dies war selbst für ihn ein übler Streich. Im Grunde konnte sie nun all ihre Bücher in den Müll werfen. Normalerweise hätte sie ihn dafür umgehend bei seinen Eltern verpetzt oder mit Gianna einen noch gemeineren Racheplan ersonnen. Aber trotz ihrer Wut auf Luca hatte Francesca beschlossen, dieses Mal nichts zu unternehmen. Die Stimmung im Palazzo war sowieso schon gereizt

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