Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schatzinsel (Original)

Die Schatzinsel (Original)

Titel: Die Schatzinsel (Original) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
gefalteten Hände entgegen.
    Infolgedessen blieb ich wieder stehen und fragte: »Wer seid Ihr?«
    »Ben Gunn,« antwortete er, und seine Stimme klang heiser und ungeschickt, wie wenn in einem verrosteten Schloß ein Schlüssel herumgedreht wird. »Ich bin der arme Ben Gunn, ja; und ich habe seit drei Jahren mit keinem Christenmenschen gesprochen.«
    Ich konnte jetzt sehen, daß er ein Weißer war wie ich selbst, und seine Gesichtszüge waren sogar hübsch von Natur. Aber seine Haut war an allen bloßen Stellen von der Sonne verbrannt; sogar seine Lippen waren schwarz, und seine blauen Augen sahen ganz sonderbar in diesem dunklen Gesicht aus. So zerlumpt, wie er war, hatte ich noch keinen Bettler in der Wirklichkeit oder im Traume gesehen. Er war mit Fetzen von alten Schiffssegeln und Matrosenröcken bekleidet, und dieses außerordentliche Flickwerk wurde durch alle nur denkbaren Befestigungsmittel zusammengehalten: Messingknöpfe, Bindfadenenden und dünne Zweige. Am den Leib trug er einen alten Ledergürtel mit einem Messingschloß, und dies war das einzige Solide an seiner ganzen Ausrüstung.
    »Drei Jahre!« rief ich; »habt Ihr Schiffbruch erlitten?«
    »Nein, Maat,« sagte er – »maruniert!«
    Ich hatte das Wort gehört und wußte, daß es eine furchtbare Strafe bedeutete, die von den Freibeuternziemlich häufig angewandt wurde: der Missetäter wird mit etwas Pulver und Schrot an irgendeiner einsamen, öden Insel ausgesetzt.
    »Vor drei Jahren wurde ich maruniert,« fuhr er fort, »und habe seitdem von Ziegen und Beeren und Austern gelebt. Wo ein Mann ist, sage ich, da kann einer auch leben. Aber, Maat, mein Herz sehnt sich nach christlichem Essen! Hast du nicht zufällig ein Stück Käse bei dir? Nein? Ach, manche lange Nacht habe ich von Käse geträumt – besonders von geröstetem –, und dann wachte ich wieder auf und war hier auf dieser Insel!«
    »Wenn ich wieder an Bord kommen kann,« sagte ich, »sollst du Käse haben, pfundweise, soviel dein Herz begehrt!«
    Während dieser ganzen Zeit hatte er den Stoff meiner Jacke befühlt, meine Hände gestreichelt, nach meinen Stiefeln gesehen und überhaupt ein kindisches Vergnügen an der Gegenwart eines Mitmenschen gezeigt. Aber bei meinen letzten Worten wurde er anscheinend mißtrauisch; er machte ein schlaues Gesicht und fragte:
    »Du sagtest: wenn du wieder an Bord kommen kannst? Nun, wer kann dich denn daran hindern?«
    »Du nicht, das weiß ich wohl!« war meine Antwort.
    »Da hast du recht!« rief er; »nun, wie heißest du denn eigentlich, Maat?«
    »Jim.«
    »Jim – Jim!« wiederholte er; mein Name gefiel ihm augenscheinlich. »Na, Jim, nun hör' mal: ich habe wüst gelebt; du würdest dich schämen, wenn ichdir davon erzählte. Zum Beispiel – wenn du mich so ansiehst, so würdest du wohl nicht denken, daß ich eine fromme Mutter gehabt habe?«
    »Hm, allerdings – eigentlich nicht,« antwortete ich.
    »Na ja. Aber ich hatte eine – sogar eine ganz besonders fromme Mutter. Und ich war ein höflicher, frommer Junge und konnte meinen Katechismus herunterrasseln – so schnell, daß kein Wort vom andern zu unterscheiden war. So weit bin ich nun heruntergekommen, Jim, und ich fing an mit Murmelspielen auf dem Kirchhof! Damit fing es an, aber es blieb nicht dabei; und meine Mutter sagte es mir voraus – prophezeite, wie alles kommen würde – jawoll, das tat sie! Aber die Vorsehung, die hat mich auf diese Insel hier gebracht. Ich habe es mir alles durchgedacht, auf dieser einsamen Insel hier, und ich bin nun wieder fromm geworden. Rum trinken – damit fängst du mich nicht mehr. Bloß einen Fingerhut voll, auf gut Glück, natürlich – den will ich haben, sobald ich die erste Gelegenheit habe. Ich werde gewiß ein guter Mensch sein, und ich sehe auch den guten Weg vor mir. Und, Jim,« – dabei sah er sich um und senkte seine Stimme zu einem ganz leisen Flüstern – »ich bin reich!«
    Ich war jetzt überzeugt, daß der arme Bursche in seiner Einsamkeit verrückt geworden wäre, und dies Gefühl muß wohl auf meinem Gesicht zu lesen gewesen sein; denn er wiederholte ganz aufgeregt seine Behauptung:
    »Reich! reich – sage ich dir. Und ich will dir was sagen: ich will einen Mann aus dir machen, Jim. Oh,Jim! Du wirst deinen Stern dafür segnen, daß du der erste warst, der mich gefunden!«
    Plötzlich aber kam ein Schatten über sein Gesicht; er packte meine Hand mit einem festen Griff und hielt mir drohend den Zeigefinger vor die Augen und

Weitere Kostenlose Bücher