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Die Schatzinsel (Original)

Die Schatzinsel (Original)

Titel: Die Schatzinsel (Original) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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hatte er seinen Posten hinter der Matratze in dem schmalen Gang behauptet; er hatte jeden Befehl schweigend, hartnäckig und genau ausgeführt; er war zwanzig Jahre älter als der älteste von uns; und nun mußte dieser brummige, aber treue und nützliche alte Diener für uns sterben.
    Der Squire fiel neben ihm auf die Knie nieder und küßte seine Hand und weinte dabei wie ein Kind.
    »Muß ich gehen, Herr Doktor?« fragte Tom.
    »Tom, mein Mann,« sagte ich, »Ihr geht heim.«
    »Ich wollte, ich hätte ihnen mit meiner Flinte erst einen aufbrennen können!« antwortete er.
    »Tom,« sagte der Squire, »sagt mir, daß Ihr mir vergebt – wollt Ihr das tun?«
    »Wäre das respektvoll, Squire?« war seine Antwort. »Indessen – so sei es, Amen!«
    Nach einem kurzen Schweigen sagte er, nach seiner Meinung solle wohl einer von uns ein Gebet lesen.
    »Es ist mal der Brauch so, Herr,« sagte er, wie wenn er um Entschuldigung zu bitten hätte. Nicht lange darauf verschied er, ohne noch ein Wort zu sprechen.
    Unterdessen hatte der Kapitän, dessen Taschen, wie mir bereits aufgefallen war, merkwürdig bepackt waren, eine große Menge verschiedener Gegenstände hervorgeholt – die britische Flagge, eine Bibel, ein Knäuel ziemlich dicken Bindfaden, Tinte, Federn, das Logbuch und mehrere Pfundpakete Tabak. Er hatte innerhalb der Einzäunung einen ziemlich langen Fichtenstamm gefunden, dessen Zweige bereits abgehackt waren; diesen richtete er mit Hunters Hilfe an der Ecke des Blockhauses auf, wo die Baumstämme im rechten Winkel aufeinanderstießen. Dann kletterte er auf das Dach und zog mit eigener Hand die englischen Farben auf.
    Diese Handlungen schienen sein Herz sehr zu erleichtern. Er betrat wieder das Blockhaus und begann unsere Vorräte aufzuzeichnen, wie wenn es sonst nichtsauf der Welt gäbe. Bei alledem hatte er sich auch um Tom gekümmert, und sobald alles vorüber war, trat er mit einer zweiten Flagge heran und breitete diese ehrfurchtsvoll über die Leiche aus. Dann schüttelte er dem Squire die Hand und sagte:
    »Nehmen Sie sich's nicht zu sehr zu Herzen, Herr Trelawney! Ihm ist wohl; um einen Mann, der für seine Pflicht, für seinen Kapitän und seinen Herrn gestorben ist, brauchen wir keine Sorge zu haben, daß er nicht in den Himmel kommt. Das ist vielleicht nach der Glaubenslehre nicht richtig, aber es ist Tatsache.«
    Hierauf zog er mich beiseite und sagte:
    »Doktor Livesey, in wieviel Wochen erwarten Sie und der Squire die Ankunft des zweiten Schiffes, das uns nachgesandt werden sollte?«
    Ich sagte ihm, es handle sich dabei nicht um Wochen, sondern um Monate; erst wenn wir gegen Ende August nicht zurück wären, sollte Blandly das zweite Schiff schicken, um nach uns zu suchen; aber weder früher noch später.
    »Sie können sich's also selber ausrechnen,« sagte ich.
    »Hm, ja,« antwortete der Kapitän und kratzte sich den Kopf, »und wenn ich noch so sehr auf die Güte der Vorsehung rechne, Doktor, möchte ich sagen, wir sind in einer ziemlich ekligen Klemme!«
    »Wieso?«
    »Es ist jammerschade, Doktor, daß wir die zweite Bootsladung verloren haben,« antwortete der Kapitän. »Mit unserem Pulver und Blei werden wir reichen. Aber die Rationen sind knapp, sehr knapp – so knapp, Doktor Livesey, daß es vielleicht ebensogut ist, diesenEsser weniger zu haben.« Und mit diesen Worten zeigte er auf den Leichnam unter der Flagge.
    Gerade in diesem Augenblick flog sausend eine Vollkugel hoch über das Dach des Blockhauses hinweg und schlug weit hinter uns in den Wald ein.
    »Oho!« rief der Kapitän; »pulvert nur los! Ihr habt jetzt schon wenig genug Pulver, meine Jungens.«
    Der zweite Schuß war besser gezielt: die Kugel schlug innerhalb der Palisade ein und warf eine Sandwolke auf, richtete aber sonst keinen Schaden an.
    »Kapitän,« sagte der Squire, »das Haus ist vom Schiff aus vollständig unsichtbar, es muß die Flagge sein, wonach sie zielen. Wäre es nicht weiser, sie einzuziehen?«
    »Meine Flagge streichen!« rief der Kapitän. »Nein, Herr – das tu ich nicht!«
    Und ich glaube, wir alle waren seiner Meinung, sobald er diese Worte gesprochen hatte. Denn es war nicht nur eine Äußerung kräftigen Seemannsmutes, sondern es war auch politisch klug; denn die Flagge zeigte unseren Feinden, daß wir ihre Kanonade verachteten.
    Den ganzen Abend donnerten sie mit ihrer Kanone. Eine Vollkugel nach der anderen flog über uns hinweg oder war zu kurz gezielt oder wirbelte in der Umzäunung den Sand

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