Die Scherenfrau
Katzenblut trinken musste, reichte uns völlig. Außerdem hörte man noch andere seltsame Sachen.
»Sie opfern auch Kinder«, erzählte mir Emilio im Vertrauen. »Sie entführen sie und legen sie auf einen Altar, dann schneiden sie ihnen die Kehle durch und trinken ihr Blut. Daher kommt es, dass in letzter Zeit so viel Nachwuchs verschwunden ist.«
»Und das mit den Jungfrauen«, fügte ich hinzu, »ob das wohl stimmt?«
»Also dass sie die umbringen, das glaube ich schon, aber dass es Jungfrauen sind, bezweifle ich.«
Rosario nervte unser Gekicher.
»Lacht ihr nur, ihr Arschlöcher, lacht nur, aber wenn ihr in der Klemme steckt, dann kommt nicht angekrochen und bettelt um Hilfe.«
Ihr Satansfimmel hielt nicht lange an. Ohne es ihr auszureden und ohne es recht zu merken, verlor Rosario nach und nach ihre Blässe, die Augenringe und den dunklen Mund, um zu ihrer alten Farbpalette zurückzukehren. Sie gab die geheimnisvolle Aura auf und fing wieder mit ihren losen Redensarten an. Ich konnte es mir nicht verkneifen, sie zu fragen, was denn mit dem Teufel geschehen sei.
»Ich kann die Musik nicht leiden«, sagte sie. »Das ist ein echt beschissener Krach. Mir gefallen ganz andere Sachen. Schöne Liebeslieder, bei denen man versteht, was sie singen, und die Texte müssen einfach geil sein.«
Das ist etwas, das ich bei Rosario nie verstanden habe, dieser Widerspruch zwischen den romantischen Liedern, die sie mochte, und ihrem gewalttätigen Charakter und der Sprödigkeit in Liebesdingen.
»Was gefällt dir eigentlich, Rosario?«
»Du weißt schon. María Conchita, Juan Gabriel, Paloma, Perales, tolle Typen, die mit der Hand auf der Brust und geschlossenen Augen singen.«
Den anderen Grund, weshalb Rosario von den Teufelsanhängern genug hatte, verschwieg sie uns. Aber wir erfuhren davon auf einer Party von Gallineto, der völlig bekifft war.
»Die Kleine hat einen Typen aus der Sekte umgelegt. Wusstet ihr das nicht? Ich dachte, alle hättens läuten hören. Wir spielten gerade Ausziehen und Ringelpiez mit Anfassen. Außerdem hatten wir uns bereits fünf Flashs reingezogen und waren ziemlich scharf. Der Kleinen passte es nicht, dass sie der Typ mit Gewalt befummelte. Er hatte sie eingeklemmt, indem er das Knie auf sie presste und sie hart rannahm. Was dann abging, hab ich in voller Länge mitgekriegt. Die Kleine tat auf einmal, als würde sie nachgeben, ganz zahm tat sie, wenn ihr wisst, was ich meine, so, als würde es ihr auf einmal gefallen. Sie fing an, dem Typen Küsschen zu geben und erlaubte ihm, sie ganz schön zu bearbeiten, da hören wir plötzlich, pumm!, einen dumpfen Knall. Ziemlich seltsam, klang wirklich ziemlich seltsam. Der Typ sank langsam in sich zusammen, blutüberströmt, und die Kleine hatte die Unterwäsche ebenfalls voll Blut, wenn ihr wisst, was ich meine, sie gab ihm schließlich einen Fußtritt und ließ irgendeinen Spruch los, an den ich mich nicht mehr erinnere, Mann, und uns allen, nackt wie wir waren, stand er auf einmal nicht mehr. Aber sie steckte ganz cool die Knarre in die Handtasche, zog sich an und verschwand, ohne ein Wort zu sagen. Wir waren alle völlig neben der Spur, wussten gar nicht, wo sie die Pistole her hatte, und ich schaute Johnefe an und sagte zu ihm: ›Die Kleine weiß sich zu wehren.‹«
»Und was hat dieses Arschloch mit der Kleinen angestellt«, sagte Johnefe, »dass sie ihn umbringt?«
»Bleib cool, Mann«, sagte Gallineto zu ihm, »die Kleine hat bereits alles erledigt, wir wollen lieber die Gelegenheit nutzen und das Blut von dem da trinken. Ich hab nämlich Durst.«
»Mir bekommt das Blut von Arschlöchern nicht«, sagte Johnefe.
Rosario behauptete später, dass das Lügengeschichten von Gallineto seien. Was sie verscheucht hätte, sei einzig und allein die Musik gewesen, und wenn wir ihr nicht glaubten, sollten wir ihren Bruder fragen. Aber als wir die Geschichte erfuhren, war Johnefe bereits tot. Daraufhin führte sie den zweiten Unschuldsbeweis an:
»Habt ihr mich danach vielleicht dick werden sehen, oder was?«
Rosario brachte uns zusehends durcheinander. Geschichten wurden über sie gesponnen, und man wusste nie, welche davon wahr waren. Die erfundenen unterschieden sich nicht allzu sehr von den wahren, und Rosarios Geheimnistuerei und ihr regelmäßiges Verschwinden ließen einen glauben, dass jede Einzelne passiert sein konnte. In den comunas von Medellín wurde Rosario Tijeras zum Idol. An den Hauswänden der barrios konnte man lesen:
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