Die Scherenfrau
einstürzten.
»Du hast mir nicht erzählt, wie du sie kennen gelernt hast«, sagte ich zu ihr.
»Hab ich dir schon erzählt.«
»Nein, hast du nicht«, widersprach ich hartnäckig.
Man hatte Ferney und Johnefe in La Oficina einen schwierigen Auftrag erteilt. Dafür kriegten sie so viel Kohle, wie sie sonst in einem ganzen Jahr nicht verdient hätten. Das Ziel war ein Politiker, der ihren patrones das Leben schwer machte.
»Du weißt schon«, sagte Rosario, »eins von diesen Arschlöchern.«
»Wie heißt er?«, fragte ich sie.
»Hieß er«, sagte sie, »denn der Auftrag war ein voller Erfolg.«
Mit ihrem Bruder und Ferney reisten noch fünf andere mit, und obwohl sie mir die Einzelheiten der Aktion nicht verriet, vielleicht weil sie sie gar nicht kannte, erzählte sie mir doch, dass alle in Begleitung reisten.
»Die Jungs werden halt ziemlich nervös«, erklärte sie mir, »und wir sind die Einzigen, die sie beruhigen können. Diesmal zahlten sie mir und Deisy ebenfalls das Ticket und ein paar anderen Tussis, die ich nicht kannte. Wir reisten getrennt und zu verschiedenen Zeiten, aber Johnefe, Deisy, Ferney und ich trafen uns im gleichen Hotel. Wir taten so, als wären wir zwei Pärchen in den Flitterwochen. Wir mussten also die ganze Zeit rumturteln, und du weißt ja, wie sehr mir dieses Getue gegen den Strich geht. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand Süßholz raspelt. Wenn die Männer wüssten, wie tuntig sie wirken, wenn sie einen auf Romantiker machen. Deshalb gefällt mir Emilio, der ist trocken wie Staub. Worauf wollte ich eigentlich hinaus?«
Ich verlor ebenfalls den Faden. In Sekunden wusste ich mit den ganzen Worten, die ich mir für sie überlegt hatte, nichts mehr anzufangen. Liebeserklärungen, die ich aneinander reihte, während ich einschlief, und die ich mir zurechtlegte, um sie ihr eines Tagen im Mondschein an einem Strand zu machen – in dem tuntigen und schrecklich romantischen Tonfall, der ihr so missfiel. Wie soll man denn sonst von Liebe reden?
»Du hast gerade von dem Hotel erzählt«, erinnerte ich sie.
»Das Hotel, das Hotel …«, sagte sie vor sich hin und versuchte den Faden der Geschichte wieder aufzunehmen. »Stell dir vor, sie erlaubten uns nicht einmal, das Hotel zu verlassen, um essen zu gehen. Die Jungs verschwanden in aller Herrgottsfrühe und kamen erst spät zurück. Ich ging rüber in Deisys Zimmer, oder sie kam zu mir. Wir waren zur Untätigkeit verdammt. Das Einzige, was wir machten, war Filme auf dem Kabelkanal gucken, Marihuana rauchen und am Fenster hängen, um auf Bogota zu schauen. Die Jungs kamen abends ziemlich aufgedreht und angeknallt wieder. Was sie so trieben, behielten sie für sich. Jeder verschwand in seinem Zimmer, um sich von uns verwöhnen zu lassen. Ferney kam ziemlich angespitzt an, so als hätte er es noch nie mit mir gemacht, aber er war so durch den Wind, dass es nicht ging. Na ja, an dem Tag, als sie ihre Arbeit erledigt hatten, stand er ihm wieder.«
Oftmals wurde ich das Opfer meiner eigenen Fantasie, denn wenn ich Rosario dazu brachte, mir ihre Geschichten zu erzählen, wurde ich mit Details konfrontiert, die ich lieber nicht erfahren hätte. Ich zog es vor, sie mir in intimen Situationen nur vorzustellen.
»Deisy erzählte mir, dass es Johnefe genauso ging«, fuhr sie fort, »und dass er, wenn es ihn packte, die ganze Nacht hin- und herlaufen und Crack rauchen musste, dass er nicht schlief und die ganze Zeit mies gelaunt war. Eines Abends sagten sie, dass wir packen sollten, weil man uns am nächsten Morgen abholen und zu einer Finca bringen würde. Dort würden wir sie treffen.«
»Und wer holt uns ab?«, kam es Deisy in den Sinn zu fragen.
»Was interessiert dich das?«, erwiderte Johnefe. »Tu einfach nur, was ich dir sage, ja?«
»Und weil ich dumme Gans mich angegriffen fühlte, fing ich an, Deisy zu verteidigen. Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Krawall losbrach. Johnefe hob die Hand und haute mir eine runter. Er sagte zu mir: ›Du miese Schlampe, ich weiß gar nicht, wozu wir euch eigentlich mitgenommen haben, wenn ihr die ganze Zeit nur nervt.‹ Klar passte es Ferney überhaupt nicht, dass jemand gegen mich die Hand erhob. Er zog die Knarre, steckte sie Johnefe in den Mund und sagte zu ihm: ›Respektier gefälligst deine Schwester, du Missgeburt, was du ihr antust, tust du auch mir an, also respektier deine Schwester.‹ Alle schrien wild durcheinander, bis jemand an die Tür klopfte. Wir waren wie gelähmt,
Weitere Kostenlose Bücher