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Die Scherenfrau

Die Scherenfrau

Titel: Die Scherenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Franco
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erschreckte mich eher, als dass sie mich neugierig machte. Wir wussten, dass sich ein paar von unseren Leuten eine Kugel eingefangen hatten oder die Diskothek wechseln mussten, weil sie sich mit deren Mädels eingelassen hatten. Ich war mir sicher, dass Emilio keine Ausnahme war. Aber als er mir diese Geschichte erzählte, beherrschte sie bereits die Lage und war Emilios neue Freundin.
    »Am nächsten Abend kam sie allein wieder. Stell dir vor, Alter, allein, ohne die Bande, nur mit einer Freundin. Wir stellen sie dir vor, sie ist gar nicht schlecht.«
    »Versau mir nicht mein Leben, Emilio, erzähl lieber weiter.«
    »Also sie kam allein, aber ich war mit Silvana da.«
    »Mit Silvana?!«, fragte ich ihn. »Erzähl keinen Scheiß. Und dann?«
    »Na, Rosario fraß mich mit Blicken, und Silvana störte. Also hab ich den alten Trick angewandt und gesagt, mir gings nicht gut, hab die Rechnung verlangt und beim Rausgehen Rosario ein Zeichen gemacht, dass ich zurückkomme.«
    »Warum fährst du denn so schnell, Emilio? Was treibt dich denn?«, fragte Silvana.
    »Ich fühl mich ziemlich mies, mein Schatz«, antwortete Emilio. »Ziemlich mies.«
    »Du bist das Letzte, Emilio«, sagte ich zu ihm.
    »Wieso das Letzte?«, sagte er. »Schließlich wartete dieses Goldstück auf mich.«
    »Sie hat tatsächlich auf dich gewartet?«
    »Na klar, du Blödmann, auf mich warten doch alle. Du kannst dir das Prickeln nicht vorstellen. Erst so ganz schüchtern, aber dann …«
    »Wie heißt du?«, fragte sie Emilio.
    »Rosario«, antwortete sie, »und du?«
    »Ich? Emilio.«
    Emilio hatte wirklich Dusel. So sehr, dass er zur Ausnahme wurde. Wir wussten nicht, was Rosario hatte, denn obwohl ihre Freunde weiterhin kamen, wurde Emilio völlig in Ruhe gelassen. Erst recht nach dem Zwischenfall mit Patico. Der Einzige, der sie nicht aus den Augen ließ, wenn er kam, der nicht tanzte, weil er sie dauernd anstarrte, der seine Hand nicht vom Griff seiner Pistole nahm, dem die Tränen runterliefen, wenn sie eng umschlungen tanzten, war Ferney. Er thronte in seiner hohen Loge, bestellte eine Flasche Whiskey und setzte sich so zurecht, dass er sie stets im Blick hatte, um sie wütend anzuschauen, und je betrunkener er wurde, desto größer waren der Zorn und der Schmerz in seinen Augen. Doch nie stand er von seinem Stuhl auf, nicht einmal zum Pinkeln.
    Anfänglich konnte ich mich einer gewissen Sympathie für ihn nicht erwehren, einer Art Solidarität mit jemandem, der zweifellos zu meinen Leidensgenossen gehörte. Ferney war wie ich vom Club der Schweigsamen, der mit dem Frosch im Hals, der Verdrucksten, die nicht sagen, was sie fühlen, die ihre Liebe für sich behalten, feige versteckt, die in aller Stille lieben und sich verzehren. Während er zu uns rüberschaute, blickte ich verstohlen zurück und verstand einfach nicht, woher diese extreme Besessenheit kam, bis ich sie besser kennen lernte, bis sie anfing, Raum einzunehmen, bis ich mich mit Rosario in mir, die mein Herz zerstörte, verloren fühlte. Dann erst begriff ich, und am liebsten hätte ich meinen Stuhl neben seinen gestellt, mich mit ihm betrunken und sie mit dem gleichen Schmerz und der gleichen Wut betrachtet und unsichtbare Tränen vergossen, wenn Emilio sie küsste, wenn sie miteinander tanzten, wenn er ihr heimlich Versprechungen machte, die er später einlösen würde.
    »Dieser Ferney ist ganz schön komisch«, sagte Rosario, »schau ihn dir an. Verstehst du das etwa?«
    »Vielleicht ist er noch verliebt«, brachte ich zu seiner Verteidigung vor.
    »Was für ein Schwachsinn«, sagte sie, »aus Liebe den Leidenden zu spielen.«
    »Woraus bist du nur gemacht, Rosario Tijeras?«, fragte ich mich jedes Mal, wenn sie solche Sachen vom Stapel ließ.
    »Woraus bist du nur gemacht«, dachte ich jedes Mal, wenn ich sie zu den Oberharten gehen sah, wenn sie schlank verschwand und dick zurückkam, wenn ich mich an unsere gemeinsame Nacht erinnerte.
    »Ich hab sie hier«, sagte Emilio und zeigte auf seine Handfläche. »Ich glaube, heute Nacht werde ich davon naschen.«
    Ich maß dem ersten Mal, das sie miteinander schliefen, keine Bedeutung bei. Mehr noch, ich erinnere mich nicht einmal, wann es passierte. Rosario hatte bei mir noch keinen Schaden angerichtet. Als er mir davon erzählte, dachte ich nur, dass Emilio mit dem Feuer spielte und dass sie ihn umbringen würden. Wenn sich Ferney auch fern hielt, ließ er ihm eine Zeit lang Botschaften ausrichten, und ich fürchtete, dass er

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