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Die Scherenfrau

Die Scherenfrau

Titel: Die Scherenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Franco
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nicht mit ihrem Herzen auf etwas ein. Rosario band nichts. Nicht einmal die Oberharten, in deren Dienst sie stand.
    »An dem Tag, an dem sie nicht mehr Wort halten, verdufte ich«, sagte sie mir.
    »Wenn sie bei was nicht Wort halten?«
    »Es ist ein Geschäft, Kumpel, ein mündliches Geschäft, und wenn ich Wort halte, müssen sie auch Wort halten.«
    Beinahe jedes Jahr um die gleiche Zeit, wenn sie ihnen neue Forderungen stellte, wobei sie sie an die Vertragsvereinbarungen erinnerte, musste ich mir die Begründungen anhören. So erreichte sie, dass sie ihr ein neues Apartment oder einen neuen Wagen zur Verfügung stellten oder ihr Bankkonto auffüllten.
    »Wenn sie mich nochmal sehen wollen, sollen sie mir für den Mazda einen anderen hinstellen«, sagte sie. »Es wird langsam Zeit.«
    Ich bin sicher, dass es Ferney im Grunde gefiel, dass Rosario mit ihnen weitermachte. Er genoss es, Emilio wie ein Häufchen Elend zu sehen, nachdem er sie endgültig verloren hatte. Der Unterschied war, dass sich dadurch in ihren Augen die Beziehung zu Emilio keinen Deut änderte. Für Rosario war die Geschichte mit den Oberharten eine Art Kreuzzug, bei dem jeder sein Möglichstes gab.
    »Und Emilio ist Emilio«, beharrte sie.
    Doch Emilio sah das mit anderen Augen. Er empfand es als reine Schikane. Was ihn am meisten verletzte, war, dass alle Welt es wusste. Vor allem, weil er es zuletzt mitbekam. Auf Grund der Nähe zu ihr erfuhren Emilio und ich als Letzte, wohin Rosario ohne einen Pieps verschwand. Man hörte Gerüchte, aber da sie von missgünstigen Mäulern verbreitet wurden, schenkten wir ihnen kaum Beachtung. Später dann war es Ferney selbst, der uns die Geschichte erzählte. Noch immer hatten wir Zweifel, denn wir wussten, dass Ferney gekränkt und deshalb bereit war, die Beziehung bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu torpedieren. Daher blieb uns nichts anderes übrig, als Rosario selbst zu fragen.
    »Frag du sie«, sagte Emilio zu mir. »Dir vertraut sie mehr.«
    »Wieso ich?«, warf ich ihm vor. »Du bist doch ihr Freund.«
    Wir starben vor Angst. Wir glaubten, dass sie uns zum Teufel schicken würde und dass wir wegen eines Gerüchts Rosario verlieren könnten. Bis wir sie eines Tages, nachdem sie ein ganzes Wochenende von der Bildfläche verschwunden war, gut gelaunt wieder aufkreuzen sahen und beschlossen, dass dies der richtige Moment sei.
    »Die Leute sind ganz schöne Labertaschen«, begann ich. »Die wissen schon gar nicht mehr, was sie erzählen sollen.«
    »Was für klatschsüchtige Dumpfbacken«, fuhr Emilio fort. »Du kannst dir nicht vorstellen, was die so ablassen.«
    »So klatschsüchtig nun auch wieder nicht«, sagte sie.
    »Wie?«, fragten wir beide.
    »Wie immer«, antwortete Rosario. »Die eine Hälfte ist wahr, und die andere nicht.«
    »Und welche Hälfte ist wahr?«, fragte Emilio.
    »Bestimmt die, die dir wehtut«, gab sie zur Antwort.
    Es stimmte. Sie hatte bereits mit ihnen zu tun, als wir sie noch gar nicht kannten. Emilio drehte durch, wobei er mit Stühlen warf, gegen Türen trat und Möbel zerschlug. Ich verzehrte mich von innen. Es tauchten immer mehr auf, die sie mir abspenstig machten. Emilio, die Gesellschaft, Ferney, und jetzt die. Rosario schwieg, während Emilio aus ihrem Apartment Kleinholz machte. Sie sagte kein einziges Wort, während er heulte, um sich schlug und randalierte. Ich hüllte mich ebenfalls in Schweigen und wartete wie sie, dass Emilio die Show beendete. Aber auch darauf, dass sie mich ansah, dass sie mir irgendetwas erzählte, mich in ihr Geständnis mit einbezog. Ich weiß noch immer nicht, ob sie mich einfach ignorierte oder unfähig war, mich anzusehen. Ganz bestimmt ist es schlimmer, seine Freunde als seine Liebe zu verraten.
    Ich muss wieder an Emilio denken und an das Chaos, in das Rosario ihn gestürzt hatte. Plötzlich spüre ich, dass ich ihn noch einmal anrufen muss.
    »Ich warte schon eine ganze Weile auf deinen Anruf, Alter, was ist passiert?«
    »Ich hab in der Zwischenzeit mit dem Arzt gesprochen«, erzählte ich ihm. »Er sagt, sie steckt voller Kugeln.«
    »Die Kugeln von heute Nacht oder die von früher?«
    »Es wurden aus nächster Nähe mehrere Schüsse auf sie abgegeben.«
    »Während sie geküsst wurde«, ergänzte Emilio.
    »Woher weißt du das?«, fragte ich ihn.
    »Sie zahlen es ihr mit gleicher Münze heim.«
    Ich erinnere mich an die Male, die Rosario andere Männer küsste. Ich erinnere mich daran, wie die nach einem gedämpften Schuss, der

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