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Die Scherenfrau

Die Scherenfrau

Titel: Die Scherenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Franco
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Stille trat ein, in der die Musik anschwoll und die Sinne sich schärften, um endlich das zu fühlen, worauf sie so lange gewartet hatten. Als ich die Augen aufschlug, konnte ich sie nicht mehr anschauen, weil wir Nase an Nase waren, meine Stirn an ihre gestützt, meine Hände auf ihren Schenkeln, während sie meine streichelte. Wir spürten auch den Atem, der nach Schnaps roch, dann die Berührung der Wangen, die wir immer ein bisschen fester aneinander pressten, bis sich die Lippen fanden. »Deine Lippen schmecken wie die von einer Toten«, erinnerte ich mich. Aber sie schmeckten auch nach mehr, nach mehr von dem, was wir mit unseren Händen und unseren Körpern taten, während unsere Zähne sich streiften. Wie soll ich das vergessen, als meine Hände wie elektrisiert waren, als ich sie zum ersten Mal unter ihre Bluse steckte? Dann wurden sie heftig, waren wir heftig, denn so ist die verzweifelte Liebe. Wir rissen uns die Kleider vom Leib, mit einem einzigen Ruck zog ich ihr das Shirt aus, und sie zog mir meins aus, und ohne die Münder voneinander zu trennen, knöpfte ich ihr die Jeans auf, und sie kratzte mich, als sie meine aufknöpfte. In einer Sekunde waren wir unter Stöhnen und Bissen so, wie wir sein wollten, mit rastlosen Händen.
    »Kumpel …«, sagte sie dicht an meinem Mund.
    »Meine Kleine …«, sagte ich zu ihr. Dann konnte ich nichts mehr sagen.
    Was dann folgte, ist mein schönstes und schmerzlichstes Geheimnis gewesen, und jetzt, wo sie tot ist, wird es das für immer bleiben. Ich werde es mir täglich ins Gedächtnis rufen, so als wäre es gerade erst geschehen. Deshalb würde ich sie gerne küssen, um mich wieder an ihren Mund zu erinnern, wohl wissend, dass ihre Küsse nicht anders schmecken würden. Sie jetzt mit der Gewissheit zu küssen, dass ich ihr das Gewicht der Schuld, die sie auf sich geladen hatte, nicht mehr abnehmen würde.
    »Emilio hat einen Größeren als du«, sagte sie zu mir danach, als die Wirkung des Alkohols nachließ und man das, was geschehen war, nicht mehr ungeschehen machen konnte. Es gab weder Musik noch Licht, nur das, das zum Fenster hereinkam. Ich lag nackt neben ihr, sie war halb mit einem Laken zugedeckt. Still wartete sie auf meine Reaktion. Aber weil ich diesen unangemessenen Wechsel von Liebe zu Hass nicht verstand, dauerte es, bis ich darauf reagieren konnte. Bevor mich der Schmerz übermannte, dachte ich zuerst an die Manie der Frauen, alles miteinander zu vergleichen. Dann, als ich bereits am Boden zerstört war, dachte ich daran, wie mies das Leben doch sein würde mit der Erinnerung an eine einzige Nacht. Weil ich in diesem Augenblick nicht den geringsten Zweifel daran hatte, dass es sich nur darum handelte. Rosarios Verhalten ließ keinen anderen Schluss zu. Ich weiß nicht, woher ich die Kraft nahm, meinen Pfeil abzuschießen.
    »Vielleicht geht es nicht um die Größe«, sagte ich zu ihr, »sondern darum, dass du bei mir feuchter wirst.«
    Wenn Blicke töten könnten. Sie bedeckte sich bis zum Hals und drehte mir den Rücken zu. Es dämmerte bereits. Ich rückte ein wenig näher, wir waren nicht allzu weit voneinander entfernt. Schließlich teilten wir das gleiche Bett, und mich schmerzte die Vorstellung, dass es das einzige Mal sein würde. Deshalb wagte ich es, ihr ein weiteres Mal zu zeigen, was ich ihr vor ein paar Minuten eröffnet hatte. Mit meinen Fingern tastete ich nach ihrer Schulter und zog ein wenig das Laken herunter, um ein Stück Haut zu finden, doch sie zuckte plötzlich zusammen, und ohne mich anzuschauen, verwies sie mich auf meinen Platz.
    »Lass uns schlafen, Antonio«, sagte sie zu mir.
    Ich legte mir das Kissen aufs Gesicht und heulte. Ich presste es ganz fest an mich, damit ich weder Luft bekam noch mein Weinen hörbar war, um, wie ich mir wünschte, in diesem Augenblick zu sterben. Neben ihr und nachdem ich im siebten Himmel gewesen war, wie sonst niemand von der Liebe erschlagen, sicher, nicht länger mit der Zurückweisung leben zu können. Dann ließ ich das Kissen los. Ich wollte, dass sie mitbekam, was sie angerichtet hatte, in was sie mich verwandelt hatte, und ich schluchzte deutlich hörbar. Ich musste gar nicht so tun, als ob. Meine Schluchzer waren da und hielten lange an. Es machte mir nichts aus, dass sie es bemerkte, ich hatte nichts mehr zu verlieren. Sie schaute mich nicht an, weder drehte sie sich um, noch sagte sie etwas. Ich weiß, dass sie wach war. Sie war nicht abgebrüht genug, um einzuschlafen.

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