Die Scherenfrau
mochte. Eine frische Brise wehte herein, und mit der Musik und dem Wein hätten wir diesen Augenblick am liebsten ewig währen lassen. Plötzlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck, so als würde all das, was mich hoffen ließ, ihr Schmerzen bereiten. Mir schien, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Es hätten aber auch die Lichter der Stadt sein können, die sich in ihnen spiegelten.
»Was ist los mit dir, Rosario?«
Sie nippte an ihrem Wein und wischte sich über die feuchten Augen, was jeden Zweifel ausräumte.
»Alles, Kumpel.«
Sie blickte wieder auf die Stadt und legte ihren Kopf ein wenig in den Nacken, vielleicht damit die Brise ihren Hals kühlte.
»Alles Mögliche ist mit mir los«, sagte sie. »Die Einsamkeit, Ferneys Tod, die Reise …«
In meinem Kopf vernahm ich ein lautes Echo. Erst klang das Wort wie ein dumpfer Schlag, dann wiederholte es sich mit Macht. »Die Reise, die Reise, die Reise«. Ich hätte lieber etwas anderes gehört, aber Selbstbetrug brachte mich nicht weiter. Schließlich wusste ich ja, was sie damit meinte, worüber sie jedoch nicht reden wollte.
»Wie ist es dir wegen Norbey ergangen?«, fragte ich sie.
»Ferney«, korrigierte sie mich lustlos. »Es war schrecklich, du kannst dir nicht vorstellen, wie sie ihn zugerichtet haben. Noch ‘ne Kugel hätte keinen Platz gehabt, ich weiß nicht, wozu sie ihm so viele verpasst haben, eine hätte wirklich gereicht. Sie hatten ‘ne echte Wut im Bauch, als sie ihn umgebracht haben.«
Ihr entschlüpfte ein weiteres Tränenpaar, das sie mit einem großen Schluck Wein wegspülte. Die Nase begann ihr zu laufen, und sie schnäuzte sich in eine Serviette.
»Der arme Ferney hatte immer Probleme, weil er so ‘n schlechter Schütze war«, fuhr sie fort. »Vielleicht haben sie ihn deshalb umgebracht. Vertrauen haben ihm die drei Amulette am Handgelenk gegeben, um eine ruhige Hand zu haben, aber das über seinem Herzen, um sich zu schützen, und das am Fußgelenk, um sich aus dem Staub zu machen, die hat er verloren. Ferney, dieser Trottel.«
»Habt ihr ihn denn beerdigt?«
»Klar«, sagte sie zu mir, »neben Johnefe.« Die Brise wehte ihr die Haare ins Gesicht, und mit dieser Bewegung, die ich so liebte, strich sie sie hinter die Ohren, blickte mich an und lächelte ohne bestimmten Grund. Jedenfalls hatte ich ihr keinen gegeben.
»Wenn du dich einsam fühlst, »sagte ich zu ihr, »ruf mich jederzeit an.«
Ich glaube, in dem Augenblick gab ich ihr tatsächlich einen Grund zu lächeln, was sie auch tat. Sie drückte meinen Schenkel, womit sie ihre Rührung zum Ausdruck brachte, dann suchte sie tastend nach meiner Hand, blieb ganz gelassen, als sie dabei die Schwellung zwischen meinen Beinen streifte. Schließlich fand sie sie, offen und bereit.
»Du wirst mir sehr fehlen, Kumpel«, sagte sie zu mir. »Ich werde dich sehr vermissen.«
In dieser Nacht machte ich kein Auge zu, während ich an ihre Abwesenheit dachte, die so endgültig schien. Angst überfiel mich, die mit der Schlaflosigkeit zunahm, während ich mir ein Leben ohne Rosario vorstellte. Ich dachte, dass es eigentlich unmöglich war, ohne sie weiterzumachen, und aufgestachelt von den Erinnerungen, klammerte ich mich an diese Vorstellung. Mit dem Kissen im Arm spürte ich wieder eins nach dem anderen die Gefühle, die sie in mir wecken konnte. Die Schmetterlinge im Bauch kehrten zurück, die Kälte in der Brust, die weichen Knie, die Kopflosigkeit, die zitternden Hände, die Leere, das Bedürfnis, zu weinen und zu kotzen, und all die Anzeichen, die Verliebte heimtückisch befallen. Jede Minute dieser Nacht verwandelte sich in einen Ring mehr an der Kette, die mich an Rosario Tijeras fesselte, eine Stufe mehr von der Treppe, die mich hinabführte, Minuten, die mich anstatt in die Helligkeit des Tagesanbruchs in einen dunklen Tunnel führten. Dunkel wie ihr Tunnel, aus dem ich sie so oft herausgebeten hatte. Erst als die Sonne bereits machtvoll durch die Vorhänge drang und ich der Idee, Rosario auf ihrem Kamikazekurs zu folgen, verfallen war, konnte ich ein wenig schlafen.
Die folgenden Tage unterschieden sich in nichts von dieser Nacht. Sie waren sogar noch schlimmer. Voller Zweifel, nagender Ängste und der Gewissheit, dass ich ohne sie definitiv nicht leben konnte, und genährt von der Hoffnung des Letzten in der Reihe, der sich damit ein wenig tröstet, von den Krumen der anderen etwas abzubekommen. Was in Rosarios Fall hieß, der Täuschung zu erliegen, dass sie jetzt
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