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Die Scherenfrau

Die Scherenfrau

Titel: Die Scherenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Franco
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war, mit dem man Pferde stehlen konnte.
    »Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich eines Tages einen Rivalen aus den comunas haben würde«, sagte Emilio.
    »Die werden dich umbringen«, warnten wir ihn vergeblich.
    »Ihn erwischt es zuerst. Ihr werdet schon sehen.«
    Als Emilio Rosario kennen lernte, war sie bereits nicht mehr mit Ferney zusammen. Sie hatte ihrem Viertel und ihren Leute schon seit geraumer Zeit den Rücken gekehrt. Die Oberharten hatten sie in einem Luxusapartment untergebracht, natürlich ganz in der Nähe von unserem. Sie stellten ihr einen Wagen zur Verfügung, ein Bankkonto und alles, worauf sie gerade Lust hatte. Trotzdem blieb Ferney weiterhin ihr Schutzengel, ihr heimlicher Liebhaber, ihr ergebener Diener. Ferney wurde zu Emilios Kopfweh und Emilio zum Stein in Ferneys Schuh. Obwohl sie einander selten begegneten, entstand zwischen ihnen eine Feindschaft, bei der Rosario die Rolle der Botin zufiel. Sie überbrachte die gegenseitigen Hassbekundungen.
    »Sag diesem Arschloch, dass er sich vorsehen soll«, ließ Ferney sie ausrichten.
    »Sag diesem Arschloch, dass ich mich schon längst vorsehe«, ließ Emilio sie ausrichten.
    »Bringt ihr euch doch endlich um und lasst mich in Ruhe!«, sagte Rosario zu ihnen. »Ich hab die Schnauze voll von dem ewigen Hin und Her.«
    Rosario beklagte sich, aber eigentlich gefiel ihr das Duell. In gewisser Hinsicht schürte sie es am heftigsten. Sie überbrachte die meisten Botschaften und heizte mit ihren Lügen den Kampf an.
    Als Ferney schließlich ermordet wurde, dachten wir, dass Rosario auf uns böse sein würde. Vor allem auf Emilio, der einen tiefen Groll gegen ihn hegte. Aber so war es nicht. Man wusste nie, was einen bei Rosario erwartete.
    »Die Polizei sucht Sie«, sagte auf einmal eine Krankenschwester.
    »Mich?«, antwortete ich noch immer in Gedanken bei Ferney.
    »Haben Sie nicht die Frau mit den Schussverletzungen gebracht?«
    »Rosario? Ja, das war ich.«
    »Dann kommen Sie bitte mit, sie wollen mit Ihnen sprechen.«
    Draußen steht mindestens ein Dutzend Bullen.
    Für einen Moment denke ich, dass sie für uns ein richtiges Einsatzkommando rangekarrt hätten, wie zu den guten, heißen Zeiten, als ich Emilio und Rosario auch noch bei ihrem Unfug begleitete.
    »Erschrecken Sie nicht«, sagte die Krankenschwester, als sie mein Gesicht sah, »am Wochenende sind hier mehr Polizisten als Ärzte.«
    Sie zeigte mir, wer für unseren Fall zuständig war: ein Paar unscheinbarer Beamter, unscheinbar wie ihre Gesichter und ihre Dienstkleidung. Mit gewohntem Missmut spulten sie ihre Fragen herunter, als wäre ich der Kriminelle und nicht sie. Warum ich die Frau ermordet hätte, womit ich geschossen hätte, wer die Tote sei, in welcher Beziehung sie zu mir stünde, wo die Mordwaffe sei, wo meine Komplizen seien, ob ich betrunken sei, dass man mich verhaften würde und dass ich verdächtig sei und mitkommen solle.
    »Ich habe weder jemanden umgebracht noch auf jemanden geschossen, es gibt keine Tote, weil sie noch am Leben ist, sie heißt Rosario und ist eine Freundin von mir, ich habe keine Waffe, und schon gar keine Mordwaffe, ich habe keine Komplizen, weil jemand anders geschossen hat, betrunken bin ich auch nicht mehr, denn mit dem Schreck hat sich der Alkohol verflüchtigt, und anstatt mich diesen ganzen Schwachsinn zu fragen und an der falschen Stelle zu stochern, sollten Sie sich lieber darum kümmern, den zu schnappen, der uns das eingebrockt hat«, sagte ich zu ihnen.
    Ich drehte mich auf dem Absatz um, ohne mich weiter um sie zu kümmern. Sie schrien mir hinterher, dass ich mir bloß nichts einbilden solle und dass wir uns später wieder sehen würden. Ich kehrte in meine dämmrige Ecke in ihrer Nähe zurück.
    »Rosario«, wurde ich nicht müde zu wiederholen, »Rosario.«
    Meiner Erinnerung habe ich mühsam entlockt, wann und wo wir ihr zum ersten Mal begegnet waren. Das genaue Datum fällt mir nicht ein, es war vielleicht vor sechs Jahren. Aber den Ort weiß ich noch. Es war im ›Acuaríus‹, Freitag oder Samstag, den Tagen, an denen wir immer da waren. Die Diskothek war einer von den vielen Plätzen, an denen sich die trafen, die unten waren und aufzusteigen begannen, und die, die oben waren und sich auf Talfahrt befanden. Sie hatten genug Kohle, um sie da auszugeben, wo wir noch anschreiben ließen. Sie machten bereits Geschäfte mit unseren Leuten. Wirtschaftlich waren wir auf gleicher Höhe, sie trugen unsere Klamotten, fuhren die

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