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Die Scherenfrau

Die Scherenfrau

Titel: Die Scherenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Franco
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schickeren Autos, besaßen mehr Drogen und luden uns dazu ein – das war ihr bester Köder. Sie waren risikofreudig, tollkühn, sie verschafften sich Respekt. Sie waren, was wir nicht waren und im Grunde immer sein wollten. Wir sahen ihre Waffen, die im Hosenschlitz steckten und die Ausbuchtung vergrößerten, und die tausend Arten, auf die sie männlicher waren als wir. Sie flirteten mit unseren Frauen und führten uns ihre vor. Hemmungslose Frauen, so resolut wie sie selbst, bedingungslos in der Hingabe, scharf, mestizisch, mit Beinen, die vom Erklimmen der zahlreichen Hügel ihrer Viertel straff waren. Gefälliger und weniger nervtötend. Zu ihnen gehörte Rosario.
    »Wie hast du dich in sie verliebt?«, fragte ich Emilio.
    »Kaum hatte ich sie gesehen, da wars schon passiert.«
    »Ich weiß, dass sie dir gleich gefiel, aber ich meine was anderes, sich verlieben, du verstehst schon.«
    Emilio dachte nach. Ich weiß nicht, ob um zu begreifen, was ich ihn fragte, oder um diesen Moment einzufangen, in dem es bereits zu spät ist.
    »Jetzt erinnere ich mich«, sagte er. »Nachdem wir getanzt hatten, sagte Rosario eines Nachts, dass sie Hunger hätte, und wir gingen Hotdogs essen, dort, an einem der Stände auf der Straße, und weißt du, was sie bestellt hat? Einen Hotdog ohne Wurst.«
    »Und?« Was anderes fiel mir nicht ein.
    »Was heißt hier und? Jeder würde sich bei so etwas verlieben.«
    Ich weiß nicht, ob ein Hotdog ohne Wurst bewirkt, dass man nach jemandem verrückt ist, aber was ich sicher weiß, ist, dass es tausend Gründe gibt, sich in Rosario zu verlieben. Ich könnte es nicht näher benennen, es gab keinen bestimmten Grund, weswegen ich sie verehrte. Ich glaube, es waren alle tausend zusammen.
    »Gefällt dir Rosario?«, fragte mich Emilio.
    »Mir? Du spinnst wohl«, log ich ihn an.
    »Du hast immer gute Laune, wenn du mit ihr zusammen bist.«
    »Das heißt gar nichts«, log ich weiter. »Sie ist mir sympathisch. Wir sind gute Freunde. Das ist alles.«
    »Und worüber redet ihr den lieben langen Tag?«, fragte Emilio mit einem Unterton, der mir nicht gefiel.
    »Über nichts.«
    »Über nichts?«, fragte er, und der Unterton schwoll an.
    »Mann, über Sachen, ja? Wir reden über alles Mögliche.«
    »Find ich schon seltsam.«
    »Was ist daran seltsam?«, fragte ich ihn.
    »Also mit mir redet sie überhaupt nicht.«
    Rosario und ich konnten eine ganze Nacht lang reden, und ich lüge nicht, wenn ich sage, dass wir über alles Mögliche redeten. Über sie, über mich, über Emilio. Die Worte sprudelten unermüdlich hervor, wir waren weder müde noch hungrig, wenn wir uns unterhielten. Die Stunden verflogen im Nu, ohne dass unser Gespräch verstummt wäre. Rosario schaute einem beim Sprechen in die Augen, sie fesselte mich mit ihnen, egal wie idiotisch das Thema war. Mit ihrem dunklen Blick lenkte sie mich in die tiefsten Tiefen ihres Herzens. An ihrer Hand zeigte sie mir ihren holprigen Lebenspfad. Jeder Blick und jedes Wort waren eine Reise, die sie nur mit mir unternahm.
    »Wenn ich dir das erzählen würde«, sagte sie, bevor sie mir alles erzählte.
    Sie redete mit den Augen, mit dem Mund, mit dem ganzen Gesicht, sie redete mit ganzer Seele. Sie drückte meinen Arm, um etwas zu unterstreichen, oder sie legte ihre schlanken Finger auf meinen Schenkel, wenn das, was sie mir erzählte, schwierig wurde. Ihre Geschichten waren nicht einfach. Meine wirkten neben ihren wie Kindermärchen, und wenn in meinen Rotkäppchen glücklich ihre Großmutter zurückbekam, fraß in ihren das Mädchen den Wolf, den Jäger und ihre Großmutter. Und Schneewittchen massakrierte die sieben Zwerge.
    Zwischen Rosario und mir blieb kaum etwas unausgesprochen. Es waren viele Jahre, in denen wir uns stundenlang unseren Geschichten widmeten. Sie folgte meiner Stimme mit ihrem Blick, und ich versank in ihren Worten und ihren dunklen Augen. Wir sprachen über Gott und die Welt. Nur nicht über die Liebe.
    »Ist sie Ihre Freundin?«, fragte mich eine untätige Krankenschwester.
    »Wer? Rosario?«
    »Die junge Frau mit den Verletzungen, die Sie hergebracht haben.«
    Ich konnte die Art der Beziehung, die ich mit Rosario hatte, nie genau benennen. Jeder wusste, dass wir eng befreundet waren, vielleicht mehr als üblich, wie viele meinten, aber nie überschritten wir die Grenze dessen, was die anderen mitbekamen. Na ja, bis auf eine Nacht. Jene Nacht. Meine einzige Nacht mit Rosario Tijeras. Ansonsten waren wir einfach zwei gute

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