Die Scheune (German Edition)
unter der Bettdecke gesehen zu haben.
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Linda und ich fuhren eine Woche später, am 6. Oktober 1996, zurück nach Santa Ana, während Sarah sich vorerst entschied, eine Wohnung in der Nähe der Klinik zu beziehen. Es lag ihr viel daran, in Danes Nähe zu bleiben – zumindest in der ersten Zeit. Sie verabschiedete sich von Linda und mir und versprach, uns weiter schriftlich über Dane auf dem Laufenden zu halten.
Vor unserer Abreise besuchte ich noch einmal meinen alten und mir doch so unbekannten Freund. Allerdings war ich nicht in der Lage, näher als einen Meter an ihn heranzutreten. Mich beherrschte immer noch eine große Angst vor ihm. Ich spürte kein Mitleid für ihn. Er verursacht mir heute noch Alpträume. Die Wunde, die er in mich gerissen hat, ist einfach zu groß. Und doch wollte ich mich aufrichtig von ihm verabschieden, wo er doch eigentlich schon tot war – zumindest der Dane, den ich gekannt hatte. Was hier lag, war nur die Hülle einer Freundschaft. Das Innenleben hatte sich selbst aufgefressen. Ich sagte: „Mach's gut“, und ging.
Sarah fand eine Arbeitsstelle in Flowers Paradise mitten in Kansas City, in dem sie eine gern gesehene Kundin war. Ihre Begabung, Gestecke und Sträuße zu binden, konnte sie dort erfolgreich umsetzen. Ihr ansprechendes Wesen und ihre Freundlichkeit zu den Kunden ließen das Geschäft florieren. Ihre Kolleginnen und auch viele Kunden waren mit dem Schicksal ihres Mannes durchaus vertraut und teilten sichtlich ihren Schmerz. Die Zeitung hatte einen Tag nach dem Unglück auf ihrer Farm darüber berichtet. Dass es die Bürger in Aufruhr versetzte, war klar, aber sie ließen eine gesunde Milde gegenüber Sarah walten.
Ihre abendliche Zeit teilte sie mit Dane. Da es ihr unmöglich war, mit ihm durch die Benommenheit der Medikamente ins Gespräch zu kommen, glaubte sie eine andere gute Möglichkeit gefunden zu haben, sich ihm mitzuteilen. Sie begann, ihm Abend für Abend ein Buch vorzulesen. Geschichten auf der Suche nach Anerkennung, Glück und Liebe.
Das Land, auf dem einst ihre Farm stand, wurde nun von niedergebrannten Mauern und einer verlassenen Scheune, in der zwei Autowracks standen, beherrscht. Die Farm stand zum Verkauf, genau wie immer noch die Heddon-Farm. Es wurde gemunkelt, dass ein großer Konzern ein Bauprojekt außerhalb der Stadt plante. Sarah wusste, dass es ihr das Herz brechen würde, aber es blieb ihr keine andere Möglichkeit, so alles hinter sich zu lassen.
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Am Sonntag, den 18. Dezember 1996, begleitete Sarah ein merkwürdiges Gefühl nach Heaven. Sie wusste, dass sie heute die letzten Seiten ihres Buches vorlesen würde. Sie kannte das Ende schon, und das Wort Tod füllte für sie zu viel Platz auf der letzten Seite. Sie verwarf ihre Unsicherheit und grüßte in alter Vertrautheit das Personal der Klinik, während sie zum letzten Mal den langen Gang zu Danes Zimmer durchschritt. Er hatte bis zu diesem Tag nicht mit ihr kommuniziert. Sie trat ein, und er lag wie am ersten Tag in seinem Bett – rasiert und gewaschen. Sein Gesicht war eingefallen, die Augen geschlossen. Seine Augenlider zuckten, als er ihren Duft wahrnahm.
Sarah sah eine Träne, die beständig auf seinem rechten Lid verharrte. Sie streichelte seine Wange mit den Worten: „Hallo, Dane. Ich bin wieder da.“
Und dann öffnete er zum ersten Mal seit den zwölf Wochen seines Aufenthaltes die Augen und schaute sie an. Das Schlucken bereitete ihm durch die Medikamente und die dadurch angeschwollene Zunge große Schwierigkeiten.
Ihre Blicke trafen sich – wie gefesselt, gekettet – und lösten sich nicht mehr, bis sein Gesicht rot anschwoll und seine Augen die Gewissheit seines Todes widerspiegelten. Sarah wusste es und unternahm nichts dagegen. Sie hatte es seit heute Morgen gespürt und fand es in Ordnung.
Auch wenn ihre Liebe nur von kurzer Dauer war, so war sie doch von einer großen Intensität beherrscht. Leider war der andere Teil in Dane um so vieles stärker, dass niemals eine echte Chance für sie bestanden hatte. Dane war nie in der Lage, eine normale Beziehung auf Dauer durchzuhalten.
Erst als Sarah sich ganz sicher war, dass Dane seine Ruhe gefunden hatte, rief sie das Pflegepersonal. Der Arzt konnte sich den Tod von Dane zunächst nicht erklären. Erst das Gespräch mit einem Kollegen brachte Klarheit. Es gab nämlich nur wenige Menschen, die in der Lage waren, einen Erstickungstod selbst herbeizuführen. Es bedurfte einer hohen
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