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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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aber seit Jahrhunderten verschwunden. Als der Prophet Zarathustra mein Volk von seinen heidnischen Lebensweisen zu seiner Religion bekehrte, als er bildliche Darstellungen und Götzenanbetung verwarf und den ersten Feuertempel errichtete, sammelten meine Vorfahren diese erste reine Asche und verteilten sie an den Stamm. Diese Asche wurde in kostbaren Behältnissen aufbewahrt, und ich glaube, meiner ist als einziger übriggeblieben. Er ist sehr heilig, und große Kraft wohnt ihm inne.«
    Während Veeda weiterhin zwischen den rußgeschwärzten Ruinen tanzte und ihre Lieder sang und während die Flammen des Lagerfeuers ihr flackerndes Licht auf jahrhundertealte Mauern warfen, so dass man den Eindruck gewann, die majestätischen Figuren in den Reliefs bewegten sich, fuhr Iskander fort: »Die Vision, die du hattest, als du dieses Horn berührtest …« Seine Stimme wurde gepresst. »Was du gesehen hast, war das Erste Feuer. Ich habe zwar nie daran gezweifelt, dass dieses Horn wirklich die reine Asche dieses Feuers enthält … aber nun hast du mir den Beweis erbracht, dass das, was ich bei mir trage und was mein Vater und meine Vorväter bei sich trugen, tatsächlich aus den Tagen des Propheten Zarathustra stammt.« Und wehmütig lächelnd fügte er hinzu: »Dafür danke ich dir, Ulrika.« Zum ersten Mal redete er sie mit ihrem Namen an.
    Als Veeda hinter einer Mauer hervorkam und mit hocherhobenen Armen im Licht der Sterne Pirouetten drehte – entweder tat ihr Bein nicht länger weh oder sie nahm es nicht zur Kenntnis –, sagte Ulrika: »Was singt sie da eigentlich?«
    »Ihr Volk verehrt Wesen, die Engel genannt werden.«
    Auch Rachel, fiel Ulrika ein, hatte von Engeln gesprochen und erklärt, dass sie dem jüdischen Glauben zufolge Boten Gottes seien.
    »Sie sind die Mildtätigen Unsterblichen«, ergänzte Iskander. »Veeda zufolge sind sie stets unter uns, unsichtbar, hilfsbereit, beschützend. Jeder hat seinen eigenen Namen und nimmt eine bestimmte Position innerhalb einer komplizierten Rangordnung ein, aber mehr weiß ich auch nicht. Veeda sagt, man dürfe nicht über ihre Religion sprechen und auch nicht die Namen der Engel im Munde führen. Engel sind der Grund«, fügte er düster hinzu, »weshalb Gastfreundschaft für Veedas Leute eine so hohe Bedeutung hat. Sie nehmen an, dass ein Fremder, der ihr Haus betritt, ein Engel sein könnte.«
    Der gequälte Blick, den er Ulrika zuwarf, verriet ihr, dass sie auch Iskander für einen Engel gehalten, er ihnen stattdessen aber den Tod gebracht hatte.
    »Erzähl mir von deinem Volk«, sagte sie, ohne Veeda, die auf der königlichen Terrasse herumtänzelte und deren schlanke, grazile Figur Ulrika unwillkürlich an eine Gazelle denken ließ, aus den Augen zu lassen.
    »Wir sind Hirten. Viele tausend Schafe grasen in unseren Tälern. Das sichert uns ein gutes Auskommen.« Zunächst versonnen, strahlte er plötzlich in Erinnerung an etwas Schönes. »Jeder Mann meines Stammes muss sein Haus mit den eigenen Händen bauen. Dadurch beweist er sich. Mein Traum war es, das größte und schönste Haus in meinem Dorf zu bauen und meine Ehefrau stolz zu machen, mit einem Prinzen verheiratet zu sein, und viele Kinder zu haben.«
    »Dieses Haus kannst du noch immer bauen.«
    Das Strahlen in seinem Gesicht erstarb. »Mich erwartet ein anderes Schicksal.«
    »Rache zieht nur weitere Rache nach sich«, sagte Ulrika leise. »In Rom sagen wir, wenn ein Mann auf Rache aus ist, sollte er zwei Gräber ausheben.«
    Iskander schüttelte den Kopf. Lange schwarze Locken glänzten im Schein des Feuers auf. »Ich muss diese Aufgabe erfüllen, denn ich werde dafür zur Rechenschaft gezogen.«
    Von wem?, fragte sich Ulrika. Wenn er der Letzte seines Volkes war und vorhatte, den anderen Stamm auszulöschen, wer würde dann noch übrig sein, um über ihn zu richten? Und wie, überlegte sie zum hundertsten Mal, sollte sie, wie Miriam es prophezeit hatte, ihn retten? Es sei denn, es gab noch einen
anderen
Prinzen …
    Sie wandte sich wieder Veeda zu, die nun auf Zehenspitzen und mit erhobenen Armen herumwirbelte. Ihr Haar glich einem glitzernden, tintenschwarzen Wasserfall; in ihren Beinkleidern und der eng anliegenden Jacke verkörperte sie federleichte, gelenkige, flüssige Geschmeidigkeit. Ihre Stimme schwang sich in höchste Höhen, ihre Augen glühten vor Hingabe und Begeisterung. Sie tänzelte die Terrasse entlang, näherte sich den Mauern, entfernte sich wieder, eilte hierhin und dorthin und

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