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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Richtung Süden vorbeizog, einen Platz zu sichern. Zumal sie lediglich das Wort eines Fremden hatte, dass dieser Ort hier tatsächlich Shalamandar war. Zeroun hatte sogar gesagt: »Der hiesigen Legende nach war das vor Urzeiten der Name.« Da es Legenden aber an sich hatten, im Laufe der Zeit abgeändert, wenn nicht gar völlig verfälscht zu werden, ergab sich für Ulrika die Frage, ob sie nach Babylon zurückkehren und versuchen sollte, auf andere Weise in Erfahrung zu bringen, wo das wirkliche Shalamandar lag.
    »Du darfst mich fragen, was immer du möchtest«, sagte sie jetzt zu Veeda.
    »Warst du schon mal verliebt?«
    Angesichts Veedas verschämtem Lächeln und ihrem zarten Erröten legte Ulrika ihr Messer beiseite und ließ ab von den Herbstzwiebeln, die sie Zeroun abgekauft hatten. »Ich
bin
verliebt, Veeda. In einen wunderbaren Mann, der im Augenblick auf dem Weg in ein sagenumwobenes, weit entferntes Land ist.«
    »Und liebt er dich auch?«
    »Ja. Aber wir sind seit langem voneinander getrennt.« Hatte er inzwischen China erreicht? Fand er die Frauen dort exotisch und begehrenswert? Vielleicht sogar unwiderstehlich …
    Ihre Sehnsucht nach Sebastianus war so groß, dass sie schier körperliche Schmerzen auslöste. Jeden Tag las sie seinen Brief, sprach die Worte nach, die er geschrieben hatte und die mit »Ich liebe dich« endeten. Sie sehnte sich nach seiner Wärme und seiner Kraft, wünschte sich, seine Arme um sich zu spüren, es verlangte sie nach seinem Körper und seiner beschützenden Umarmung. Aber dachte er noch genauso intensiv an sie? Klammerte sie sich vielleicht an eine leere Illusion?
    Sie griff nach der Kammmuschel an ihrem Busen. »Die hat mir Sebastianus geschenkt. Sie war für ihn die Verbindung zu seiner Heimat, und jetzt verbindet sie mich mit ihm.«
    »Verbindet sie dich ebenfalls mit seiner Heimat?«
    Veedas große fragende Augen, dunkel und kummervoll, aber auch von Hoffnung erfüllt, weckten in Ulrika den Gedanken, dass sie mit diesem Mädchen vielleicht mehr gemein hatte als angenommen. Beide wussten nicht, wohin sie gehörten. »Ich glaube, das tut sie«, sagte sie. »Daran habe ich noch nie gedacht.«
    Verlegen schaute Veeda auf ihre Hände. »Wie stellt man es an … wie bringt eine Frau einen Mann dazu, dass er sie wahrnimmt?«
    »Veeda«, sagte Ulrika beschwichtigend. »Iskander nimmt dich wahr.«
    Die Schamröte vertiefte sich. Sollte ich ihr sagen, dass er meiner Meinung nach ebenso empfindet?, überlegte Ulrika. Und dass er sich nur zurückhält? Was hindert Iskander bloß daran, Veeda seine Gefühle zu offenbaren? Etwa der Feind, der auf der anderen Seite des Berges darauf lauert, dass er hinuntersteigt …
    »Wenn er da hinaufgeht«, sagte Veeda und deutete auf den Berg, der über dem Ruinenfeld aufragte, »spüre ich hier ein Loch.« Sie klopfte sich an die Brust. »Wenn er zurückkommt, ist das Loch wieder geschlossen. Trotzdem wird Iskander mich niemals lieben.«
    »Warum sagst du so etwas?«
    »Wegen Asmahan.«
    »Wer ist Asmahan?«
    »Iskanders Ehefrau. Er glaubt, dass sie noch lebt.«
    »Ich wusste gar nicht, dass er verheiratet ist.« Ulrika war bass erstaunt. Und dann wurde ihr klar, dass Iskander nicht nach Überlebenden seines Stammes suchte, sondern einzig und allein nach einer Frau. Und dass er es nicht aus angestammter Rivalität auf die Männer auf der anderen Seite des Gebirgspasses abgesehen hatte, sondern um sich an denen zu rächen, die seiner Meinung nach diese Frau umgebracht hatten.
    Er tat ihr leid. So viel sinnloses Töten. Iskanders Stamm ausgelöscht. Veedas Clan ausgerottet. Und jetzt wollte Iskander seinen Feind vom Erdboden fegen. Wann würde das ein Ende haben?
    »Eine Karawane!« Iskander eilte über die steinernen Stufen zur Terrasse hinauf. »Eine Karawane naht!«
    Ulrika wandte sich um. In der Morgensonne bot sich ihr ein erstaunliches Bild: Hunderte von Kamelen, Pferden und Esel, auf ihren Rücken Reiter oder Lasten, schlängelten sich langsam über das Flachland. Rasch nahm sie den Spieß vom Feuer – sie war dabei, einen enthäuteten Hasen zu braten, von dem das Fett köstlich aufzischelnd in die Flammen tropfte –, legte ihn beiseite, stand auf und schirmte ihre Augen gegen die gleißende Sonne ab.
    Der Wind, der über die königliche Terrasse strich, trug ihnen das vertraute und willkommene Bimmeln der Kamelglöckchen zu. Und mit leisem Bangen fragte sich Ulrika: Wird dies die letzte Karawane vor Einbruch des Winters sein?

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