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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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anderen Bergseite anschickten.
    Noch von oben erblickten sie unter dem tiefblauen, mit weißen Wolken durchsetzten Himmel eine goldgelb schimmernde Ebene, die sich in atemberaubender Majestät vor ihnen ausbreitete. Umgeben von den lavendelfarbenen Zagros-Bergen lag das Tal da, und in seiner Mitte erhoben sich die Ruinen einer Stadt, massive Mauern und hochaufragende Säulen, die verkohlt und brüchig als Einzige von der hemmungslosen Zerstörung zeugten, die dreihundert Jahre zuvor hier stattgefunden hatte.
    Der Abstieg auf der östlichen Bergseite war bald geschafft. Iskander, Ulrika und Veeda folgten nun der alten königlichen Straße, auf der eine breite Holzbrücke über den Pulvar führte. Als sie eine steinerne Terrasse von gigantischen Ausmaßen mit breiten, himmelwärts strebenden Treppenaufgängen betraten, erfasste sie angesichts der Steinquader, dem Schutt und der umgestürzten Pfeiler, die einstmals der Palast des großen Darius gewesen waren, Ehrfurcht und Wehmut zugleich. Keine üppigen Gärten, Bäume oder Blumen, nicht einmal einen Grashalm gab es hier – nur eine flache, bis auf die Erdkrume abgetragene unfruchtbare Ebene. Und überall zerbrochene Säulen, wie alles andere mit Staub bedeckt – Asche von den gewaltigen Dachsparren, die bei der Feuersbrunst, die Alexanders Fackeln ausgelöst hatten, eingestürzt waren. Nichts mehr war von den mächtigen Zedern des Libanon übrig geblieben, nichts mehr von den Teakbäumen aus Indien, die einst zu prächtig bemalten, mit Gold gekrönten Säulen verarbeitet worden waren. Wände aus dunklem Kalkstein, von geschickten Steinmetzen aufwendig behauen, zeigten steif paradierende Menschen aus längst vergangener Zeit – jetzt die einzigen Bewohner dieses trostlosen Areals, das einst als die Residenzstadt des alten Persien in aller Munde gewesen war. Und wie um die Schmach auf die Spitze zu treiben, fand sich als Hinterlassenschaft von Reisenden, die die Ruinen besucht hatten, in die Wände der Spruch eingekratzt:
Suspirium puellarum Alypius thraex
 – Alypius der Thraker lässt die Mädchen aufseufzen.
    Als sie zu zwei steinernen Pfeilern kamen, die ein massiver Deckstein verband, blieb Ulrika wie angewurzelt stehen. »Das hier kommt mir bekannt vor«, sagte sie verwundert. »Hier muss ich schon mal gewesen sein.«
    Während der kühle Wind ihr Haar zauste, beobachteten Iskander und Veeda, wie Ulrika die schnurgerade ausgerichteten Reihen der Hunderte steinerner Säulen nachdenklich betrachtete. »Ich weiß noch, dass sie auf mich wie ein versteinerter Wald wirkten. Man hat mir erzählt, dass der Magus im Norden dieses Ortes lebt«, sagte sie im Weitergehen. »Ich glaube, meine Mutter und ich haben ihn kennengelernt. Als wir Persien verließen, sind wir auf unserem Weg durch diese Ruinen gekommen. Ich kann damals nicht älter als drei oder vier Jahre gewesen sein.« Sie musterte die mit Reliefs und Texten in Keilschrift verzierten Wände, die Treppenaufgänge, die nirgendwohin führten, die traurigen Überreste von dem, was einst große Palastbauten und Gärten gewesen waren.
    Plötzlich blieb sie stehen, riss die Augen auf. »Da ist er ja!« Sie ließ ihre Reisebündel fallen und rannte los; ihre Schritte hallten auf dem Kalksteinboden der Terrasse wider. Iskander und Veeda beeilten sich, ihr zu einer mächtigen Kalksteinmauer zu folgen.
    Verblüfft starrten sie den Prinzen auf seinem majestätischen Thron an. Er war in prächtige Gewänder gekleidet und trug einen hohen runden Hut, unter dem sich dichte Locken bis auf die Schultern ringelten. Ein üppiger krauser Bart bedeckte seine Brust und endete erst in Körpermitte. In einer Hand hielt er einen Stab, in der anderen merkwürdigerweise eine Blume. Vor ihm, in einem goldenen Rauchfass, brannte Weihrauch.
    Es war ein Relief. Kein lebendiger Mensch, sondern ein längst verstorbener Herrscher, in Stein gemeißelt.
    »Hallo?« Der Wind trug ihnen eine Stimme zu.
    Sie fuhren herum und sahen einen beleibten Mann die steinernen Stufen heraufkeuchen. Er trug einen langen Filzumhang aus Ziegenhaar, der von einem Strick zusammengehalten wurde. Sein ergrautes Haar war zu Zöpfen gezwirbelt, dekorative Perlen und kleine Glöckchen klimperten in seinem buschigen grauen Bart. »Seid mir gegrüßt, Fremde! Ich heiße euch bei mir willkommen.« Er streckte die Arme aus. »Ich bin Zeroun der Armenier. Das dort unten ist meine Karawanserei.«
    Er deutete den Hang hinunter auf mehrere steinerne Gebäude, Gehege,

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