Die Schicksalsgabe
seinem Status als neuntes von fünfzehn Kindern), einen Kunden abspenstig zu machen. Um Kaptah herum standen Amphoren mit Olivenöl, die zu Siedlungen im gebirgigen Norden transportiert werden sollten. Er machte eine Drohgebärde in Richtung Hashim und wandte sich dann der möglichen Kundin zu. »Dieser Mann da ist ein Mistkerl. Er wird dich ausrauben und in den Bergen aussetzen, auf dass dir die Raben die Augen aushacken. Ich bin der Ehrlichste weit und breit. Hör dich ruhig mal um.«
Handelskarawanen nahmen unabhängig Reisende mit, sofern sie gut bezahlten und für ihre eigenen Bedürfnisse aufkamen. Sich in den Schutz großer Handelszüge zu begeben war das Sicherste, ob für eine Geschäftsreise, einen Besuch bei Verwandten oder Ähnliches. Selbst Sebastianus hatte heute Morgen einer kleinen Gruppe die Mitreise gestattet, mehreren Brüdern, die zu einer Hochzeitsfeier nach Massilia wollten. Sie verfügten über eine eigene Kutsche und zahlten gut für den sicheren Geleitschutz.
Sebastianus nahm die Gestalt, um deren Aufmerksamkeit der Araber und der Syrer wetteiferten, näher in Augenschein. Ihrem schlanken Körper und ihrer Haltung nach musste sie jung sein. Und dem kostbaren Stoff ihres Gewandes nach zu schließen sowie der Palla, die ihren Kopf bedeckte, wohlhabend. Allerdings waren weder persönliche Sklaven noch Leibwächter als Begleitung zu entdecken. Noch merkwürdiger schien, dass sie mehrere Bündel geschultert hatte, dazu einen Wasserschlauch und eine Tasche mit Proviant. Eine junge Frau allein unterwegs? Bestimmt wollte sie nicht weit reisen, in die nächste Ortschaft vielleicht.
Während die beiden Händler weiterhin um ihre Aufmerksamkeit wetteiferten, schweiften Sebastianus’ Gedanken wieder zu seinen Sorgen: Er musste wirklich dringend aufbrechen. Seine Eile hatte nichts mit seinen üblichen Geschäften entlang des Rheins zu tun. Nein, Sebastianus Gallus hatte ein ehrgeiziges Ziel: Er wollte als Erster bis an die Enden der Welt vordringen, wo Gerüchten zufolge Schiffe über den Erdenrand segelten und Pferde auf Nimmerwiedersehen in eisige Nebelschwaden galoppierten.
Sebastianus befand sich in einem Wettstreit um das begehrte Kaiserliche Diplom, das dem Gewinner den Auftrag einbrachte, eine Karawane ins ferne China zu führen. An diesem lärmenden, sonnigen Frühlingsmorgen bedrückte ihn der Gedanke, dass er gegen vier weitere Händler antrat, die er als fähig, zuverlässig und anständig erachtete und die die China-Route ebenso verdienten wie er. Aber Kaiser Claudius würde das Diplom nur an einen vergeben.
Jeder Bewerber sollte seine angestammte Handelsroute absolvieren, sich dabei aber durch eine besondere Leistung hervortun. Eine solche Leistung, das wusste Sebastianus, würden seine vier Mitstreiter in Claudius’ Augen zweifellos erbringen. Badru der Ägypter war nach Afrika aufgebrochen, wo er billige Kleidung und kleine Schmuckstücke gegen Schildkrötenpanzer und Elfenbein einzutauschen gedachte; außerdem bot sich Badru die Gelegenheit, ein seltenes Tier für Roms Arena mitzubringen. Sahir der Hindu befand sich auf dem Weg nach Südosten, um Parfüm und Weihrauch zu erwerben, und höchstwahrscheinlich stieß er dort auf das eine oder andere kostbare Buch für den Kaiser. Adon der Phönizier wiederum hatte sich mit einer Ladung Pfeffer und Nelken nach Spanien aufgemacht, von wo er zweifellos mit edelsten Weinen, wie Claudius sie schätzte, zurückkehren würde. Gaspar der Perser schließlich, dessen Handelsroute ihn ins Zagros-Gebirge führte, würde bestimmt eine seltene Blume aufstöbern, die der Legende nach ein wirkungsvolles Aphrodisiakum enthielt (es war bekannt, wie sehr Claudius daran gelegen war, sich seiner jungen Frau Agrippina gegenüber als guter Liebhaber zu beweisen). Sebastianus Gallus der Spanier hingegen zog wie üblich nach Norden, um Bernstein, Zinn, Salz und Pelze einzutauschen. Womit aus dem Rheinland könnte er schon die Aufmerksamkeit von Kaiser Claudius erregen und ihn dazu bringen, ihm, Gallus, das begehrte Diplom zuzusprechen?
Was ihm zudem Sorgen bereitete, war das Gerücht, dass römische Legionen unter dem Kommando von Gaius Vatinius gen Norden marschierten, um mit aller Härte gegen aufständische Barbaren vorzugehen. Krieg konnte zwar gut fürs Geschäft sein, in diesem Fall aber Sebastianus’ Chancen auf den Gewinn des Diploms schmälern.
Ungeduldig blickte er hinüber zu Timonides, der sich redlich, aber vergeblich bemühte, einen kupfernen
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