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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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mit einem leichten Akzent, so als sei dies nicht seine Muttersprache. Jetzt bemerkte sie die handtellergroße Muschel, die, an einer Lederschnur befestigt, in Brusthöhe seiner weißen Leinentunika hing. Sie erkannte sie als Kammmuschel, von denen es, wie sie wusste, jede Menge entlang der Küste im Nordwesten Spaniens gab. Wie sie gehört hatte, trugen die Galicier solche Muscheln zum Gedenken an ihr Zuhause und zum Zeichen, dass sie stolz auf ihr Volk und ihre Kultur waren.
    Rätselhaft kam ihr dieser Spanier dennoch vor. Seine Stirn war bereits von Falten durchzogen, so als beschäftigte ihn seit langem ein Problem, für das sich noch immer keine Lösung abzeichnete. Kein Mann, der im Frieden mit sich selbst oder mit der Welt lebte, befand sie. Eindrücke stürmten auf sie ein: Obwohl er immer wieder lächelte, schien er verärgert zu sein, aber auf wen oder worüber war nicht zu ergründen; sein Blick wirkte offen, aber gleichzeitig dennoch vorsichtig-abwartend; und trotz seines ungezwungenen Auftretens schien er sich innerlich an der Kandare zu halten, so als befürchtete er, die Kontrolle zu verlieren. Hatte etwas – oder jemand – ihn vor langer Zeit gekränkt?
    »Ich reise allein«, gab sie Auskunft und wich einen Schritt zurück, um auf Abstand zu diesem Mann zu gehen. Als sie heute Morgen ihr Zuhause verlassen hatte, entschlossen, sich auf den Weg ins Rheinland zu begeben, hatte sie nicht damit gerechnet, wie schwierig es sein würde, von einer Karawane mitgenommen zu werden. Wem konnte sie vertrauen?
    »Du willst ganz allein nach Colonia?«, fragte der Galicier überrascht. »Ist eine nicht ungefährliche Gegend, als junges Mädchen da allein hinzureisen.«
    Sie schaute ihm in die Augen. Hatte sie jemals Augen mit einer derart grünen Iris gesehen? »Ich habe dort Verwandte.«
    Seine Stirnfalten vertieften sich. »Trotzdem ist es gefährlich«, sagte er, »für ein junges Mädchen, das allein unterwegs ist …«
    »Unterwegs zu sein ist nichts Neues für mich. Ich bin in Persien geboren, und seit meinem dritten Lebensjahr ziehe ich in der Welt herum. Ich war in Jerusalem und Alexandria. Ich habe sogar das
mare nostrum
auf einem Schiff überquert.«
    »Mag ja sein«, entgegnete er, »trotzdem wird man in dir nur die schutzlose Frau sehen. Du solltest eine Familie ausfindig machen, die nach Norden zieht und einverstanden ist, dass du dich ihr anschließt, oder aber eine Gruppe von mehreren Frauen. Leider besteht meine eigene Karawane ausschließlich aus Männern, da kann ich nicht ununterbrochen die Verantwortung für deine Sicherheit übernehmen.« Er lächelte. »Mein Name ist Sebastianus Gallus. Ich werde dir helfen, einen verlässlichen Führer zu finden, der dich nach Colonia bringt. Ich kenne fast jeden im Karawanengewerbe, ob Ehrenmann oder Gauner.«
    »Ich bin Ulrika, und ich danke dir für dein freundliches Angebot.«
    Als Hashim und Kaptah, die neugierig das Gespräch belauscht hatten, sich darüber aufregen wollten, dass Sebastianus drauf und dran war, ihnen ihre Kundin wegzuschnappen, brachte er sie mit einem strengen Blick zum Verstummen. Dann machte er sich mit der jungen Frau auf den Weg, außer Reichweite der beiden Händler, die sich jetzt gegenseitig beschuldigten, ein einträgliches Zubrot vermasselt zu haben. Ein letzter Blick galt seinem Lager, in dem sich Timonides, der Sterndeuter, noch immer den Kopf hielt und wimmerte.
    Auch Ulrika sah den Fettwanst mit dem weißen Haarkranz um den kahlen Schädel. »Was fehlt ihm denn?«, fragte sie.
    »Das wissen wir nicht. Er ist mein Astrologe, aber im Moment scheint er nicht in der Lage zu sein, ein Horoskop zu erstellen.«
    Ulrika kämpfte mit sich. Sie hatte es eilig, in den Norden aufzubrechen, aber der beleibte Mann litt zweifellos Qualen. »Vielleicht kann ich helfen.«
     
    Die Sternenkarten verschwammen vor seinem getrübten Blick. Timonides war zum Heulen zumute. Noch nie war er derart verzweifelt gewesen, derart deprimiert. Die Sterne waren sein Leben, seine Seele, und die Botschaften, die sie übermittelten, bedeuteten ihm mehr als sein eigener Atem. Er hatte ihnen und der Deutung der darin enthaltenen Geheimnisse sein Leben untergeordnet – und jetzt, Himmel nochmal!, vermochte er nicht einmal Kassiopeia vom Löwen zu unterscheiden!
    In der vergeblichen Hoffnung, den Schmerzen Einhalt zu gebieten, hob er den Kopf und sah seinen Meister, offensichtlich in Begleitung einer jungen Frau, auf sich zukommen.
    Einen Augenblick lang

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