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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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im Gebirge unbedeckt waren, ließen kräftige Muskeln unter schmutziger blasser Haut erkennen.
    »Wie heißt du?«, frage sie so ruhig wie möglich.
    Er sah von seiner Arbeit nicht auf. »Du willst meinen Namen ebenso wenig wissen wie ich deinen. Zum letzten Mal: Sei still.«
    Sie biss sich auf die Lippe, sah schweigend mit an, wie er Stöcke schärfte.
    Mit überkreuzten Beinen hockte er auf dem Boden ihr gegenüber, den Kopf über seine Arbeit gebeugt. Hin und wieder sah er auf, lauschte den nächtlichen Geräuschen des Waldes. Ulrika würdigte er keines Blicks, sagte nichts, bis er schließlich aufstand und in das frisch gegrabene Loch stieg, wo er, soweit Ulrika erkennen konnte, die zugespitzten Stöcke in die Erde bohrte. Als er alle Stöcke aufgestellt hatte, kletterte er wieder heraus und bedeckte die Grube mit Gras und Buschwerk.
    Ulrika begriff. Er hatte eine Falle gebaut.
    Als er auf sie zukam und nach ihrem Knebel griff, schüttelte Ulrika den Kopf. Worauf er sie nachdenklich ansah – im Mondlicht machte sie von schwarzen Wimpern umrahmte dunkle Augen unter schwarzen Brauen aus – und dann murmelte: »Solange du dich ruhig verhältst.«
    Er half ihr aufzustehen. Ohne ihr die Fesseln um die Handgelenke abzunehmen, bedeutete er ihr, dass sie mit ihm mitzukommen habe. Dann griff er nach den Bündeln und dem Arzneikasten und setzte wortlos seinen Weg durch die Nacht fort.
     
    Als die Morgendämmerung heraufzog und Ulrika glaubte, vor Erschöpfung zusammenzubrechen, blieb der Fremde stehen. Er bedeutete ihr, sich hinzusetzen, und verschwand unter den Bäumen. Bald darauf kam er zurück, mit einem mit köstlich frischem Wasser gefüllten Schlauch aus Ziegenhaut. Er hielt ihn ihr an die Lippen, ließ sie trinken, bevor er selbst seinen Durst stillte.
    »Bitte«, flüsterte Ulrika. »Meine Arme … sie schmerzen …«
    Er sah auf sie hinunter. Im ersten Sonnenlicht, das sich über den Waldboden, die bemoosten Bäume und verkrüppelten Baumstümpfe vortastete, konnte sich Ulrika ein besseres Bild von ihrem Entführer machen.
    Er war in der Tat schlank, aber drahtig, mit schlaksigen Armen und Beinen. Ein junger Mann um die zwanzig, ihrer Schätzung nach. Sein Haar war schwarz wie Tinte und fiel ihm in Locken auf die Schultern. Seine Augen waren dunkel, seine Nase lang und dünn; umso sinnlicher, ja fast feminin, wirkten seine Lippen; sein Kinn war weich und ohne den leisesten Anflug eines Barts. Für einen rauen Mann der Berge sah er eigentlich recht manierlich aus. Merkwürdig war allerdings seine ungewöhnlich bleiche Haut. Dem dunklen Haar, den Augen und Brauen nach zu schließen, hätte sie eher olivfarben sein müssen, schien aber heller zu sein als selbst die von Ulrika. Fragte sich, welch sonderlichem Volk er angehörte.
    Er zog seinen Dolch aus der Scheide, zerschnitt ihr die Fesseln. Als Ulrika erst ein Prickeln in ihren Händen spürte und dann Schmerz einsetzte, holte er aus einem seiner eigenen Bündel ein Säckchen aus Tuch, gefüllt mit Nüssen und getrockneten Beeren. Erst jetzt merkte Ulrika, wie ausgehungert sie war.
    »Feuer kann ich nicht machen«, murmelte er gleichsam entschuldigend, obwohl Ulrika das Gefühl beschlich, dass seine Worte nicht ihr galten.
    Und dann vollzog sich etwas höchst Eigenartiges. Während der Wald mit Vogelgezwitscher und einer leichten Morgenbrise zum Leben erwachte, häufte der Mann der Berge Zweige und Laub aufeinander und schnitt Kienspäne für ein Lagerfeuer. Selbst einen Feuerstein holte er hervor und hielt ihn über das zusammengetragene Häufchen, ohne jedoch einen einzigen Funken zu schlagen. Dabei stimmte er eine Art Gebet an, in einem Ulrika fremden Dialekt. Nachdem er geendet hatte, entfernte er von dem geflochtenen Gürtel um seine Mitte etwas, das dort hing.
    Er legte den Gegenstand, der die Farbe von altem Elfenbein hatte, etwa eine halbe Elle lang war und an einem Ende spitz zulief, neben das nicht entfachte Feuer. Das Horn eines Tieres, vermutete Ulrika, mit einer goldenen Abdichtung am breiteren Ende, der als Verschluss für etwas, was darin aufbewahrt wurde, dienen mochte.
    »Bitte verrate mir, wohin du mich bringst.«
    Anstatt ihr zu antworten, nahm er einen langen Strick zur Hand, den er über den Ast eines Baumes schlenzte, dann ein Ende am Ast befestigte und das andere zur Schlinge geknotet auf den Boden legte. Ulrika schloss daraus, dass er im Begriff war, eine weitere Falle zu bauen. Zwischendurch hob er immer mal wieder den Kopf und

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