Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Handelsbeziehungen mit Chile, Argentina und selbst mit der Alten Welt anknüpfen lassen; sogar ein regelmäßiger monatlicher Verkehr war zwischen der Insel Hoste einerseits und Valparaiso und Buenos-Aires anderseits zustande gekommen.
Auf dem rechten Flußufer hatte sich Liberia bedeutend entwickelt. Es war im Begriffe, in allernächster Zukunft eine Stadt von ziemlicher Bedeutung zu werden. Die breiten Straßen, die sich nach amerikanischem Muster im rechten Winkel kreuzten, wiesen zu beiden Seiten lange Häuserreihen auf; jedes einzelne der aus Holz oder Stein errichteten Gebäude hatte ein nach vorne zu gelegenes Gärtchen und rückwärts einen geräumigen Hof Einige Plätze waren von schönen Bäumen beschattet; meist waren dies antarktische Buchen mit perennierenden Blättern. Außerdem verfügte Liberia über zwei Buchdruckereien und einige öffentliche Gebäude. Da gab es die Post, eine Kirche, zwei Schulen und einen Gerichtssaal, der ein weniger bescheidenes Aussehen hatte, als der mit diesem Namen bezeichnete Saal, den Lewis Dorick in die Luft sprengen wollte. Aber das schönste von allen Gebäuden war der Regierungspalast. Das einst diesem Zwecke dienende Haus war niedergerissen und durch einen Prachtbau ersetzt worden, in dem der Kawdjer seine Wohnung aufgeschlagen hatte und wo alle staatlichen Funktionen konzentriert waren.
Unweit des Regierungspalastes stand eine Kaserne, in der mehr als tausend Gewehre und drei Kanonen aufbewahrt wurden. Alle großjährigen Bürger mußten von Zeit zu Zeit einen Monat hier zubringen. Der Einfall der Patagonier war eine Warnung gewesen; jetzt hatte die Insel eine stets kampfbereite Armee, der alle Hostelianer angehörten.
Liberia hatte sogar ein Theater, das zwar sehr einfach, aber von großer Ausdehnung war und elektrisch beleuchtet wurde.
Auch dieser Traum des Kawdjer war in Erfüllung gegangen. Ein hydro-elektrisches Werk, das drei Kilometer stromaufwärts von der Stadt gelegen war, verschaffte dieser mehr Kraft und Licht, als sie benötigte.
Der Theatersaal war namentlich an den langen Wintertagen sehr besucht. Hier wurden öffentliche Versammlungen einberufen und oft kamen die Bürger zusammen, um den Vorträgen zu lauschen, die der Kawdjer und Ferdinand Beauval, welcher jetzt sehr vernünftig und ein »Jemand« geworden war, abhielten. Auch Konzerte wurden aufgeführt unter der Direktion eines Kapellmeisters, wie man ihn selten antreffen wird.
Diesen Dirigenten kennt der Leser schon; es war niemand anderer als Sand. Durch Beharrlichkeit und Ausdauer war es ihm gelungen, mit einigen Hostelianern die Elemente eines Orchesters zusammenzustellen, das er mit seinem Taktstock regierte. An den Tagen, wo ein Konzert stattfand, trug man ihn an das Dirigentenpult, und wenn er das Heer der Musiker beherrschte, verklärte sich sein Gesicht lind die heilige Begeisterung für das Reich der Töne machte ihn zum Glücklichsten unter den Sterblichen. Werke alter und moderner Meister wurden bei diesen Konzerten aufgeführt, manchmal auch einige von Sands eigenen Kompositionen, die sehr beachtenswert und stets freudigst applaudiert waren.
Sand war jetzt achtzehn Jahre alt. Seit dem schrecklichen Tage, der ihn um den Gebrauch seiner Beine gebracht hatte, war ihm jedes Glück versagt außer der Musik, darum hatte er sich mit aller Kraft und Hingebung auf dieses eine Fach geworfen. Durch das eifrige Studium der Meister hatte er sich die Technik der schweren Kunst zu eigen gemacht, und auf diese feste Grundlage gestützt, hatte er weitergearbeitet und man konnte seine großartigen natürlichen Anlagen mit dem Namen »Genie« bezeichnen. Er blieb dabei nicht stehen. Bald sollte der Tag erscheinen, an dem die Lieder dieses gottbegnadeten, am Ende der Welt verlorenen Krüppels von allen Kehlen gesungen und sich die Welt erobern würden; heute berühmte und allbekannte Lieder, die nur einen Fehler haben – man kennt ihren Autor nicht.
Mehr als neun Jahre waren schon vergangen, seit sich der »Jonathan« auf die Klippen der Halbinsel Hardy verirrt hatte, und in so wenig Jahren war dieses Resultat erreicht worden, dank der Energie, Einsicht und dem praktischen Sinne eines Mannes, welcher das Schicksal der Hostelianer in dem Augenblicke in die Hand genommen hatte, da die Anarchie die Insel dem Ruine nahe und die Bewohner an den Rand des Abgrundes brachte. Noch immer wußte man nichts aus dem Leben dieses Mannes, aber niemand hätte gewagt, über seine Vergangenheit Rechenschaft zu
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