Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«

Titel: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
sekundenlang das Heulen des Orkans übertönte.
    Der Fockmast war in einer Höhe von 10 Fuß vom Deck gebrochen. Er hatte beim Fallen ein Stück des Hauptmastes mitgerissen, eine gewaltige Bresche in die Backbord-Schiffsverkleidung geschlagen und war verschwunden. –
    Auch Menschenopfer hatte dieser Unfall zur Folge. Herzzerreißende Schreie wurden laut und im gleichen Augenblicke ergoß sich eine wahre Wasserflut über das Schiff, daß es fast gekentert wäre; dennoch richtete es sich wieder auf, aber einem tosenden Wildbach gleich schossen die Wasser von Backbord nach Steuerbord und rissen alles mit sich fort, was ihnen im Wege stand. Zum Glück war das Takelwerk zerrissen, so daß die Trümmer der Maste von der See fortgespült wurden und wenigstens den Schiffskörper nicht bedrohten.
    Jetzt war der »Jonathan« ein willenloses, treibendes Wrack geworden und gehorchte der Steuerführung nicht mehr.
    »Wir sind verloren! rief eine Stimme, aus der das Entsetzen klang.
    – Und kein Rettungsboot! stöhnte eine andere.
    – Wir haben die Schaluppe der Lotsen,« brüllte eine dritte.
    Und wie von Sinnen stürzte die Menge dem Hinterdeck zu; dort war die Wel-kiej vertäut und folgte im Kielwasser des »Jonathan«.
    »Halt!« rief der Kawdjer in so gebieterischem Tone, daß ihm augenblicklich gehorcht wurde.
    In wenigen Sekunden hatte der Hochbootsmann seine Matrosen als lebendige Mauer vor der ganz unzurechnungsfähigen Menge aufgepflanzt und ihr jedes weitere Vordringen unmöglich gemacht.
    Jetzt war nur noch das Ende abzuwarten!
    Eine Stunde später sah Karroly in nördlicher Richtung eine ungeheuere Masse auftauchen. Welches Wunder war geschehen, daß der »Jonathan« den gefährlichen Meeresarm zwischen den Inseln Herschel und Hermite passiert hatte, ohne den geringsten Schaden zu nehmen? Passiert war er, an dieser Tatsache war nicht zu zweifeln, denn dicht vor ihm stiegen die Höhen der Insel Wollaston auf. Aber letzt geriet das Schiff in eine reißende Strömung und entfernte sich wieder von der Insel Wollaston.
    Wer wird die Oberhand behalten, der Wind oder die Strömung? Wird der »Jonathan«, von ersterem getrieben, an das Ostufer der Insel Hoste gelangen oder wird er, von der letzteren mitgerissen, an die Südküste gestoßen werden? Weder das eine noch das andere sollte geschehen Kurz vor ein Uhr morgens erschütterte ein gewaltiger Stoß das Fahrzeug, daß es in allen Fugen erzitterte. Dann neigte es sich langsam gegen Backbord und blieb unbeweglich stehen. Das amerikanische Schiff war mit voller Wucht auf die östliche Seite jener Landspitze der Insel Hoste aufgefahren, die den Namen »Falsches Kap Hoorn« trägt.
Fünftes Kapitel.
Die Schiffbrüchigen.
    Vierzehn Tage vor der Nacht vom 15. zum 16. März war der amerikanische Klipper »Jonathan« aus dem Hafen von San Francisco in Kalifornien mit der Bestimmung für Südafrika ausgelaufen. Wenn das Wetter günstig ist, kann ein gutes Segelschiff die Fahrt in fünf Wochen vollendet haben.
    Der »Jonathan« hatte einen Gehalt von dreitausendfünfhundert Tonnen und war mit vier Masten ausgerüstet, dem Fock-und Hauptmast mit viereckigen Segeln, dem Besan-und Kreuzmast mit lateinischen Segeln.
    Der Befehlshaber des Schiffes war Kapitän Leccar, ein im besten Mannesalter stehender, erfahrener Seemann; unter seinem Kommando standen sein Stellvertreter Musgrave, Leutnant Maddison, Meister Hartlepool und die Mannschaft, lauter Amerikaner, aus siebenundzwanzig Köpfen bestehend.
    Das Fahrzeug war diesmal nicht für den Warentransport bestimmt, die Schiffsplanken bargen eine menschliche Ladung. Mehr als tausend Emigranten, von einer »Gesellschaft für Kolonisation« zusammengeführt, hatten sich für die Delagoa-Bai eingeschifft, an der ihnen von der portugiesischen Regierung Konzessionen verliehen worden waren.
    Die Ladung des Klippers bestand außer dem für die Reise notwendigen Mundvorrat aus allen jenen Dingen, die eine werdende Niederlassung im Anfang nötig hat. Die Verköstigung dieser Hunderte von Auswanderern war auf viele Monate hinaus gesichert durch ungeheuere Vorräte von Mehl, Konserven und alkoholhältigen Getränken. Der »Jonathan« hatte auch die notwendigsten Geräte für die vorläufige Einrichtung eingeschifft: Zelte, zerlegbare Wohnhäuser und die Möbel und Küchenutensilien. Um eine schleunige Inangriffnahme der Kultivierung der abgetretenen Ländergebiete zu ermöglichen, hatte es sich die »Gesellschaft« angelegen sein lassen, den

Weitere Kostenlose Bücher