Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
konnte man von dem Lande, das der Insel ihre Freiheit geschenkt hatte, kein feindseliges Vorgehen befürchten; aber die Ausschiffung der Soldaten blieb unerklärlich, anormal, und die Vorsicht gebot, sich dagegen zu verwahren.
»Sie kommen!« rief der Mann plötzlich und wies durch das Fenster in der Richtung nach Neudorf.
Eine zahlreiche Truppe bewegte sich auf der Straße Liberia zu. Der Kaw-djer schätzte sie schnell ab – der Hostelianer hatte übertrieben; wohl waren es chilenische Soldaten, die sich näherten, aber höchstens einhundertfünfzig Mann.
Der Kaw-djer war ungemein erstaunt und gab schnell eine Reihe klarer, deutlicher Befehle. Die Boten verstreuten sich nach allen Richtungen, worauf er ruhig wartete.
Der Offizier stand bei der Eingangstüre. (S. 508.)
Nach einer Viertelstunde war die chilenische Truppe, von den Hostelianern mit neugierigen Blicken gefolgt, auf dem Platz angekommen und hatte vor dem Regierungsgebäude Stellung genommen. Ein Offizier in Paradeuniform, welcher eine hohe Rangstufe bekleiden mußte, wenn man das viele Gold in Rechnung zog, mit dem er überladen war, berührte mit dem Degenknopf das Tor des Regierungspalastes, das sich sogleich öffnete, und verlangte den Gouverneur zu sprechen. Er wurde in das Gemach geführt, in dem sich der Kaw-djer aufhielt, und dessen Türe hinter ihm verschlossen wurde. Eine Minute später wurden auch die äußeren Tore versperrt und der Offizier war Gefangener, ohne daß er es ahnte.
Er schien aber die Situation nicht gefährlich zu finden. Einige Schritte von der Türe entfernt war er stehen geblieben, hatte die Hand grüßend an seinen mit wallenden Federn geschmückten Zweispitz gelegt und blickte den Kaw-djer an, der unbeweglich zwischen den beiden Fenstern stand.
Er nahm als erster das Wort:
»Wollen Sie mir erklären, mein Herr, sagte er, was die Ausschiffung einer bewaffneten Truppenabteilung auf der Insel Hoste zu bedeuten hat? Wie ich weiß, führen wir nicht Krieg mit Chile.«
Der chilenische Offizier hielt dem Kaw-djer ein Schriftstück entgegen.
»Herr Gouverneur, erwiderte er, gestatten Sie mir zunächst, Ihnen mein Beglaubigungsschreiben zu überreichen.«
Der Kaw-djer erbrach die Siegel und las aufmerksam den Inhalt durch, kein Zug seines Gesichtes verriet die Gefühle, die ihn dabei bewegen mochten.
»Mein Herr, sagte er dann ruhig, Ihre Regierung stellt Sie – wie Sie jedenfalls wissen werden – zu meiner Disposition, damit auf der Insel wieder geordnete Zustände geschaffen würden.«
Der Offizier verbeugte sich schweigend zum Zeichen seiner Zustimmung.
»Die Regierung von Chile, fuhr der Kaw-djer fort, ist schlecht informiert, mein Herr. Wie jedes Land der Welt hat auch die Insel Hoste unruhige Zeiten durchgemacht. Aber ihre Bewohner haben selbst die Ordnung wieder herzustellen gewußt und jetzt herrscht überall Friede.«
Der Offizier schien verlegen und antwortete nicht.
»Ich bin der Republik Chile sehr erkenntlich für die wohlwollende Gesinnung und die gesandte Hilfe, sprach der Kaw-djer weiter, muß sie aber unter den gegenwärtigen Umständen dankend ablehnen und ersuche Sie, Ihre Mission als beendigt zu betrachten.«
Die augenscheinliche Verlegenheit des Offiziers wuchs.
»Herr Gouverneur, ich werde Ihre Antwort meiner Regierung wortgetreu übermitteln, sagte er, aber Sie werden begreifen, daß ich mich bis zum Eintreffen einer Rückantwort nach den erhaltenen Instruktionen zu richten habe.
– Und worin bestehen diese Instruktionen?
– Eine Garnison auf der Insel Hoste zu lassen, welche, unter Ihrem Oberbefehl und meiner direkten Autorität stehend, zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Ordung beitragen soll.
– Sehr gut, sagte der Kaw-djer. Und wenn ich nun zufällig gegen diese Garnison Einspruch erheben würde… Haben Ihre Instruktionen auch diesen Fall vorausgesehen?
– Ja, Herr Gouverneur.
– Wie lauten dieselben, diese Hypothese angenommen?
– Den Befehl auszuführen!
– Gewaltsam?
– Im Bedarfsfalle, ja! Aber ich hoffe, daß ich nicht zum Äußersten gezwungen werde!
– Das ist sehr deutlich, sagte der Kaw-djer mit unerschütterlicher Ruhe. Um ehrlich zu sein – ich habe derartiges erwartet… Einerlei! Sie werden jedenfalls zugeben, daß die Sache ernstlich bedacht sein will, folglich müssen Sie mir die zur Überlegung nötige Zeit gewähren!
– Ich werde Ihren Entschluß abwarten, Herr Gouverneur, antwortete der Offizier, drehte sich um und wollte mit
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