Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
letzten Winters gestorben. Zwei Goldgräber hatten die Frauen ergriffen, ein dritter das Kind, mit diesen Schildern deckten sie sich und drangen auf den Kawdjer und seine Truppe ein. Niemand konnte jetzt einen Schuß wagen, weil er diese unschuldigen Wesen getroffen haben würde. Die Frauen hatte der Schreck gelähmt, sie ließen willenlos alles mit sich geschehen. Das Kind wurde von einem riesenhaften Menschen mit brutalem Griff auf Armeslänge vom Leibe gehalten und er lachte laut.
Das übertraf an Roheit alles, was der Kawdjer bisher gesehen hatte. Der abscheuerregende Anblick machte diesen starken Mann erzittern. Er empfand Furcht; er wurde totenbleich.
Und doch war das ein Augenblick schneller Entscheidung. Schon hatten die Goldgräber, Verwünschungen ausstoßend, einen Schritt vorwärts gemacht. Ihre Verwirrung war aber so groß, daß sie es nicht auf ein Handgemenge ankommen ließen, wobei die anderen unfehlbar den kürzeren gezogen hätten, da die Goldsucher ihnen an Zahl bedeutend überlegen waren. Jetzt waren sie zwanzig Meter von den Hostelianern entfernt, die wie Statuen dastanden, als Schüsse fielen. Es waren Revolver abgefeuert worden und ein Hostelianer fiel.
Nun durfte nicht mehr gezögert werden. In einer Minute konnte man überwältigt sein und die Gesamtbevölkerung von Liberia, Männer, Frauen und Kinder, wären grausam umgebracht worden.
»Gewehre hoch!« kommandierte der Kawdjer, dessen Gesicht Leichenblässe überzog.
Die Leute gehorchten mit der Pünktlichkeit der Disziplin. Die Kolben lagen im Augenblick an der Schulter und die Läufe blitzten drohend nach der empörten Menge.
Aber diese war ihrer Sinne nicht mehr mächtig, sie ließ sich nicht mehr einschüchtern. Neue Revolverschüsse fielen aus ihren Reihen und forderten drei weitere Opfer unter den Hostelianern. Jetzt waren sie auf zehn Schritte Entfernung herangekommen, ein unzurechnungsfähiger, toller Menschenknäuel.
»Feuer!« kommandierte der Kawdjer mit heiserer Stimme.
Die heroische Ruhe seiner Leute während dieser langen Prüfung belohnte den Kawdjer reichlichst für die Aufopferung, die er an sie verschwendet hatte! Jetzt hatten sie sich gegenseitig nichts mehr zu danken. Aber wenn sie auch in der dankbaren Anhänglichkeit an ihren Führer die Kraft gefunden hatten, sich als Soldaten zu benehmen, so waren sie schließlich doch keine Soldaten. Sobald der Finger den Hahn berührt hatte, ließen sie sich vom Feuer der Schlacht hinreißen und gaben nicht einen, sondern alle Schüsse ab. Wie Donnerrollen klang es. In drei Sekunden hatten die Gewehre siebentausend Kugeln verschossen. Dann wurde es totenstill…
Seine Boote schifften Soldaten aus. (S. 504.)
Die Hostelianer sahen sich bestürzt an. In der Ferne verschwanden einige Flüchtlinge, vor ihnen stand niemand mehr, der Platz war leer.
Leer?… Ja, bis auf eine Erhöhung – die nichts anderes war als ein Berg von Leichen, von dem Ströme von Blut herabrannen. Wieviele Tote mochten da liegen?… Tausend?… Fünfzehnhundert?… Noch mehr?… Wer konnte es sagen!
Am Fuße dieses furchterregenden Haufens, neben dem toten Kennedy, waren die beiden Frauen niedergefallen. Die eine hatte eine Kugel in die Schulter bekommen und war tot oder betäubt. Die andere erhob sich unverletzt und suchte in Todesangst nach ihrem Kinde. Es lag auch unter den Leichen im Blute, war aber, wie durch ein Wunder, von den Kugeln verschont worden und schien an dieser neuen Unterhaltung große Freude zu empfinden, denn es lächelte froh seiner Mutter entgegen…
Der Kawdjer, eine Beute des unsagbarsten Schmerzes, hatte sein Gesicht in den Händen verborgen, um das Entsetzliche nicht ansehen zu müssen. Er stand einen Augenblick ganz gebeugt da, dann richtete er sich langsam, langsam empor…
Mit einer gemeinsamen Bewegung drehten sich die Hostelianer nach ihm um und sahen ihn schweigend an…
Er hatte keinen Blick für sie! Unbeweglich starrte er auf den fürchterlichen Leichenhaufen und auf seinem von Furchen durchzogenen Antlitz, das um zehn Jahre gealtert schien, rannen langsam schwere Tränen herab.
Der Kawdjer weinte…
Vierzehntes Kapitel.
Die Abdankung.
Der Kaw-djer weinte…
Wie schrecklich waren die Tränen dieses Mannes! Wie beredt sprachen sie von seinem Schmerze!
Er hatte befohlen: »Feuer!«… Er! Auf sein en Befehl hatten die Kugeln ihren blutigen Weg gefunden! Ja, so weit hatten ihn die Menschen gebracht; ihre Schuld war es, wenn er sich jetzt den
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