Die Schildbuerger
Da rieb sich der Landstreicher die Hände, ging ins Wirtshaus und bestellte eine Kalbshaxe mit Kartoffelsalat und eine Kanne Bier. Tags darauf deckten die Schildbürger das Rathausdach ab, und o Wunder! mit einem Male war’s im Rathaus sonnenhell! Jetzt konnten sie endlich ihre Ratssitzungen abhalten, Schreibarbeiten erledigen, Gemeindewiesen verpachten, Steuern einkassieren und alles übrige besorgen, was während der Finsternis im Rathaus liegengeblieben war. Da es damals Sommer war und ein trockner Sommer obendrein, störte es nicht weiter, daß sie kein Dach überm Kopf hatten. Und der Landstreicher lebte auf ihre Kosten im Gasthaus, tafelte mittags und abends, was das Zeug hielt, und kriegte einen Bauch. Das ging lange Zeit gut. Bis im Herbst graue Wolken am Himmel heraufzogen und ein Platzregen einsetzte. Es hagelte sogar. Und die Schildbürger, die gerade in ihrem Rathaus ohne Dach saßen, wurden bis auf die Haut naß. Dem Hufschmied sauste ein Hagelkorn, groß wie ein Taubenei, aufs Nasenbein. Der Sturm riß fast allen die Hüte vom Kopf. Und sie rannten durchnäßt nach Hause, legten sich ins Bett, tranken heißen Fliedertee und niesten wie die Schöpse.
Als sie am nächsten Morgen mit warmen Tüchern um den Hals und mit roten, geschwollenen Nasen zum Ochsenwirt kamen, um den Landstreicher zu fragen, was sie nun tun sollten, war er verschwunden. Da sie nun niemanden hatten, der ihnen hätte helfen können, versuchten sie es noch ein paar Wochen mit dem Rathaus ohne Dach.
Als es dann aber gar zu schneien begann und sie wie die Schneemänner am Ratstisch hockten, meinte der Schweinehirt: »Liebe Mitschildbürger, so geht es nicht weiter. Ich beantrage, daß wir, mindestens für die nasse Jahreszeit, das Dach wieder in Ordnung bringen.« Sein Antrag wurde von allen, die sich erkältet hatten, angenommen. Es waren die meisten. Und so deckten sie den Dachstuhl, wie vorher, mit Ziegeln. Nun war’s im Rathaus freilich wieder stockfinster. Doch diesmal wußten sich die Schildbürger zu helfen. Jeder steckte sich einen brennenden Holzspan an den Hut. Und wenn er auch nicht sehr hell war, so konnten sie einander doch wenigstens ungefähr erkennen. Leider begannen die Späne nach einer Viertelstunde zu flackern. Nach einer halben Stunde roch es nach angebrannten Hüten. Und schon saßen die Männer, wie vor Monaten, im Dunkeln. Es war ganz still geworden. Sie schwiegen vor lauter Erbitterung. Plötzlich rief der Schuster aufgeregt: »Da! Ein Lichtstrahl!« Tatsächlich!
Die Mauer hatte einen Riß bekommen, und durch ihn hindurch tanzte ein Streifen Sonnenlicht! Wie gebannt starrten sie auf den goldenen Gruß von draußen. »O wir Esel!« brüllte da der Schweinehirt. »Wir haben ja die Fenster vergessen!« Dabei sprang er auf, fiel im Dunkeln über die Beine des Schmieds und schlug sich an der Tischkante drei Zähne aus. So war es. Sie hatten tatsächlich die Fenster vergessen! Sie stürzten nach Hause, holten Spitzhacken, Winkelmaß und Wasserwaage, und noch am Abend waren die ersten Fenster fix und fertig. So wurden die Schildbürger zwar nicht wegen ihres dreieckigen Rathauses, sondern vielmehr durch die vergessenen Fenster berühmt. Es dauerte nicht lange, so kamen auch schon die ersten Reisenden nach Schilda, bestaunten die Einwohner, übernachteten und ließen überhaupt ein gutes Stück Geld in der Stadt. »Seht ihr«, sagte der Ochsenwirt zu seinen Freunden, »als wir gescheit waren, mußten wir das Geld in der Fremde verdienen. Jetzt, da wir dumm geworden sind, bringt man’s uns ins Haus!«
DER VERSALZENE GEMEINDEACKER
Eines schönen Tages wurde in Schilda das Salz knapp. Und die Händler, die durchs Land zogen, hatten keines zu verkaufen. In Salzburg sei Krieg, erzählten sie. Und in Salzbrunn und in Salzwedel auch. Und man müsse warten, bis der Krieg vorüber sei. Das mißfiel den Schildbürgern. Denn Butterbrot ohne Salz, Kartoffeln ohne Salz und Suppen ohne Salz schmeckten ihnen und ihren Kindern ganz und gar nicht. Deshalb beratschlagten sie, was geschehen solle. Und weil ihr Rathaus nun helle Fenster hatte, fiel ihnen auch gleich etwas Pfiffiges ein. Da der Zucker auf Feldern wachse, meinte einer, sei es wohl mit dem Salz nicht anders. Man brauche deshalb auf dem Gemeindeacker, der noch brach liege, nur Salz auszusäen – alles andre werde sich dann schon finden. So geschah’s. Sie streuten die Hälfte ihres Salzvorrats auf den Acker, stellten Wachposten mit langen Blasrohren an den Rändern
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