Die Schildbuerger
um so weniger in Betracht, als der Angeklagte nicht ortsansässig ist und die ihm gewährte Gastfreundschaft übel vergolten hat. Er wird zum Tod verurteilt. Der Gerichtsdiener wird ihn ersäufen. Das Urteil gilt unwiderruflich. Die Kosten des Verfahrens trägt die städtische Sparkasse.«
Noch am Nachmittag trug der Gerichtsdiener den Krebs in einem Korb zum See hinaus und warf ihn in weitem Bogen ins Wasser. Ganz Schilda nahm an der Exekution teil. »Es hilft nichts«, sagte der Bürgermeister. »Strafe muß sein.« Der Pastor war übrigens nicht mitgekommen. Weil er nicht wußte, ob der Krebs katholisch oder evangelisch war.
DAS HERZ AUF DEM RECHTEN FLECK
Der Krieg hatte zwar um Schilda einen Bogen gemacht. Aber der Kaiser brauchte trotzdem Soldaten. So sandte er überallhin Boten, man sollte ihm waffenkundige und tapfere Leute schicken. Die Schildbürger taten ihre Pflicht und schickten ihm ein Dutzend wackre Männer. Sie kämpften unerschrocken in vielen Schlachten und Gefechten. In der Chronik von Schilda kann man darüber nachlesen. Dort erfährt man auch, daß von dem Dutzend, das in den Krieg zog, viele umkamen und insgesamt nur zwölf nach Hause zurückkehrten. Einer der Zwölf, Kilian mit Namen, besaß vom Großvater her ein hartgeschmiedetes Eisenstück. Das ließ er sich, bevor er zu Felde zog, vom Schneider an die Stelle nähen, worunter sein Herz säße. Und hätte er das nicht tun lassen, wär es ihm später schlimm ergangen. Denn als er einmal ein feindliches Huhn verfolgte, liefen Bauern mit Spießen, Stangen und Dreschflegeln hinter Kilian drein. Er rannte nicht etwa, wie man ihm nachgesagt hat, vor den Bauern davon. Dafür war er viel zu sehr mit der Hühnerjagd beschäftigt. Weil er fand, es sei nobler, ein feindliches Huhn als den Feind selber umzubringen. Und Hunger hatte er außerdem.
Jedenfalls, als er über einen Zaun sprang, blieb er zappelnd an einer Latte hängen. Die Bauern holten ihn ein und schlugen so lange auf seinen Hosenboden los, bis Kilian dadurch von der Zaunlatte freikam und, hinkend und jammernd und ohne Huhn, bei seiner Kompanie eintraf. »Mein Herz«, rief er, »mein Herz!« und hielt sich die Hose.
Der Sanitätsfeldwebel, der den Verletzten untersuchte, fand dabei den Eisenfleck, den der Schneider nicht ins Wams, sondern eben in den Hosenboden genäht hatte. »Das Eisen hat dich vor Schlimmerem bewahrt«, meinte der Feldwebel, »aber warum hat es dir euer Schneider an die falsche Stelle geflickt?« Da antwortete Kilian stolz: »Weil der Schneider von Schilda weiß, wo bei uns Schildbürgern das Herz sitzt!«
ERZIEHUNG IN EINEM TAG ODER GAR NICHT
Ein Schildbürger fuhr mit seinem Sohn in die Kreisstadt zum Schulmeister und sagte: »Man rühmt deinen Unterricht. Deshalb möchte ich meinen Jungen ein wenig bei dir lassen.« »Was weiß er denn schon?« fragte der Lehrer und hörte dabei nicht auf, einen Schüler zu verprügeln. »Er weiß nichts«, antwortete der Schildbürger. »Und wie alt ist er?« fragte der Lehrer weiter. »Erst dreißig Jahre«, meinte der Schildbürger entschuldigend, »was kann er da schon gelernt haben! Ich selber bin fünfundsechzig Jahre alt und weiß nicht das geringste!« »Also meinetwegen«, erklärte der Schulmeister. »Laß ihn hier! Doch wenn er nicht pariert und lernt, kriegt er, trotz seiner dreißig Jahre, von mir genau soviel Prügel, als ob er zwölf wäre!« Das war dem Schildbürger recht. Er versprach auch, die Erziehung gut zu bezahlen. Dann gab er seinem Jungen zum Abschied eine Ohrfeige und wollte gehen.
»Einen Moment!« rief der Lehrer. »Wie lange soll er denn in meiner Schule bleiben, und wann holst du ihn wieder ab?« »Bald«, sagte der Schildbürger. »Denn viel braucht er nicht zu lernen. Es genügt, wenn er soviel weiß wie du!« Das verdroß den Lehrer ein wenig, und er wollte ganz genau wissen, wann der Junge abgeholt würde. »Ganz genau kann ich’s dir nicht sagen«, meinte der Schildbürger. »Es hängt davon ab, wie lange euer Schmied braucht, meinem Pferd ein Hufeisen festzuschlagen. Es hat auf der Herfahrt sehr geklappert. Sobald das Eisen fest ist, hol ich ihn wieder ab.« »Du bist wohl nicht bei Trost!« rief der Schulmeister. »Und wenn ich deinen Bengel prügelte, bis mir der Arm weh täte, auch dann müßte ich ihn mindestens ein Jahr hierbehalten, damit er etwas lernt!« Da nahm der Schildbürger seinen dreißigjährigen Sohn wieder bei der Hand und suchte das Weite. In der Tür sagte er nur
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