Die Schildbuerger
Andenken mit. So oder so, es war kaum zu vermeiden.
Nun lag aber ganz in der Nähe von Schilda ein stiller, tiefer See. Und der Bürgermeister sagte: »Ich hab’s. Wir versenken die Glocke im See, und wenn der Krieg vorbei ist, holen wir sie wieder heraus.«
Gesagt, getan. Sie holten die Glocke aus dem Kirchturm, hoben sie auf einen Wagen, spannten sechs Pferde davor, fuhren zum See hinaus, trugen sie schwitzend in ein Boot und ruderten ein Stückchen. Dann rollten sie die Glocke bis zum Bootsrand und warfen sie ins Wasser. Schon war sie verschwunden, denn sie wog zwanzig Zentner. Man sah nur noch ein paar Luftblasen aufsteigen. Das war alles.
Anschließend zog der Schmied sein Taschenmesser aus der Joppe und schnitt in den Bootsrand eine tiefe Kerbe. »Warum tust du das?« fragte ihn der Bäcker. »Damit wir nach dem Krieg wissen, wo wir die Glocke ins Wasser geworfen haben«, antwortete der Schmied. »Sonst fänden wir sie am Ende nicht wieder.« Sie bewunderten seine Vorsorge, lobten ihn, bis er rot wurde, und ruderten ans Land zurück. Nun, der Krieg machte zum Glück einen großen Bogen um Schilda. Man sah nur am Horizont den Staub, den Heer und Troß aufwirbelten. Niemand drang in die Häuser. Die Löffel, Uhren, Teller und Ringe wurden wieder aus den Verstecken hervorgeholt. Und man fuhr mit dem Boot auf den See hinaus, um jetzt auch die Glocke zu heben. »Hier muß sie liegen!« rief der Schmied und zeigte auf seine Kerbe am Bootsrand. »Nein, hier!« rief der Bäcker, während sie weiterruderten. »Nein, hier!« rief der Bürgermeister. »Nein, hier!« rief der Schuster. Wohin sie auch ruderten, überall hätte die Glocke liegen müssen. Denn die Kerbe am Boot war ja überall dort, wo gerade das Boot war. Mit der Zeit merkten sie, daß der Einfall des Schmieds gar nicht so gut gewesen war, wie sie seinerzeit geglaubt hatten. Sie fanden also ihre Glocke nicht wieder, so sehr sie auch suchten, und mußten sich notgedrungen für teures Geld eine neue gießen lassen. Der Bäcker aber schlich sich eines Nachts heimlich zu dem Boot und schnitt wütend die Kerbe heraus. Dadurch wurde sie freilich nur noch größer als vorher. Mit Kerben ist das so.
EIN KREBS KOMMT VOR GERICHT
Eines Tages geriet ein Krebs nach Schilda. Niemand hätte sagen können, woher er kam, und keiner wußte, was er bei den Schildbürgern wollte. Und da sie noch nie in ihrem Leben einen Krebs gesehen hatten, bemächtigte sich ihrer eine beträchtliche Aufregung. Sie läuteten mit der neuen Kirchenglocke Sturm, stürzten zu der Stelle, wo der Krebs umherkroch, und wußten nicht, was tun. Sie rieten und rätselten hin und her und hätten gar zu gern gewußt, wen sie vor sich hatten. »Vielleicht ist es ein Schneider«, sagte der Bürgermeister, »denn wozu hätte er sonst zwei Scheren?« Schon holte einer ein Stück Tuch, setzte den Krebs darauf und rief: »Wenn du ein Schneider bist, dann schneide mir eine Jacke zu! Mit weiten Ärmeln und einem Halskoller!« Weil das Tier zwar auf dem Tuch vorwärts und rückwärts einherspazierte, aber den Stoff nicht zuschnitt, nahm der Schneidermeister von Schilda seine eigne große Schere und schnitt das Tuch genau so zu, wie der Krebs dahinkroch. Nach zehn Minuten schon war der Stoff völlig zerschnitten. Von einer Jacke mit weiten Ärmeln und einem Halskoller konnte keine Rede sein. »Mein schönes, teures Tuch!« rief der Schildbürger. »Der Kerl hat uns angeführt! Er ist gar kein Schneider! Ich verklage ihn wegen Sachbeschädigung!« Dann griff er nach dem Krebs und wollte ihn beiseite tun. Doch der Krebs zwickte und kniff ihn mit seinen Scheren so kräftig, daß der Mann vor Schmerz aufbrüllte. »Mörder!« schrie er. »Mörder! Hilfe!« Nun wurde es dem Bürgermeister zu bunt. »Erst ruiniert er das teure Tuch«, sagte er, »und nun trachtet er einem unserer Mitbürger nach dem Leben – das kann ich als Stadtoberhaupt nicht dulden! Morgen machen wir ihm den Prozeß!« So geschah es auch. Der Krebs wurde in einer förmlichen Sitzung vom Richter der mutwilligen Sachbeschädigung und des versuchten Mordes angeklagt. Augenzeugen berichteten unter Eid, was sich am Vortage zugetragen hatte. Der amtlich bestellte Verteidiger konnte kein entlastendes Material beibringen. So zog sich der hohe Gerichtshof zur Urteilsfindung kurz zurück und verkündete anschließend folgenden harten, aber gerechten Spruch: »Der Delinquent gilt in beiden Punkten der Anklage als überführt. Mildernde Umstände kommen
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