Die schlafende Stadt
Doch er schüttelte den Kopf.
„Nichts zu finden.“
Darius spürte trotz der Fülle von neuen Informationen Enttäuschung. Gleichzeitig merkte er erste Zeichen von Auflösung. Gleich, gleich würde er verwehen, zurückkehren in die dunkle, schlafende Stadt.
„Gibt es etwas, was ihr mir mitgeben könnt?“ fragte er nervös. „Etwas, was mich mit euch und dem Dasein hier verbindet?“
Leni überlegte kurz und sprang auf. Kurz darauf kam sie mit dem Rosenstrauß wieder, den Berthold ihr geschenkt hatte.
„Hier. Du brauchst bestimmt etwas Lebendiges.“
Darius blickte verzückt auf die wundervollen Blüten.
„Eine möchte ich behalten“, sagte Leni und nahm sich eine dunkelrote Rose. „Schenke allen dort drüben eine davon. Und grüße sie von uns.“
Sie sah bereits, dass Dankwart verblasste. Sie konnte durch ihn bereits hindurchsehen.
„Und komm bald wieder.“
Berthold war so beeindruckt von Lenis Gabe, dass er sich ihr geradezu schüchtern näherte. Wieder tauchten Gefühle von Unterlegenheit auf. Was machte eine Frau wie Leni mit einem kleinen Schriftsteller wie ihm?
Leni merkte seine Unsicherheit.
„Vergiss nicht: ich war tot und bin zurückgekehrt. Da ist es kein Wunder, dass ich dadurch einen anderen Blick habe für Dinge, die außerhalb unserer normalen Wahrnehmung liegen.“
Das versöhnte ihn wieder mit sich. Jetzt, wo er sich mit Leni alleine wusste, wallte seine Liebe wieder mit aller Macht auf. Verliebt umschlang er sie mit seinen Armen und küsste sie.
Bald darauf lagen sie miteinander im Bett und liebten sich. Diesmal war seine Erektion so hart, dass seine anfänglichen Sorgen schnell verflogen. Auch sie war gelöster und trotzdem erregter, und als er ihre wundervolle Feuchtigkeit spürte, drang er sanft in sie ein. Ihr Herz klopfte stark, doch seine Zärtlichkeit machte sie wieder ruhig, so dass die Geborgenheit darin alle ihre Ängste verfliegen ließ. Zu ihrer eigenen Überraschung kam sie zum Höhepunkt, zitternd vor Lust. Sie drückte ihren Geliebten so eng an sich wie sie konnte und überließ sich allem, was in ihr pulsierte und strömte.
Eng umschlungen schliefen sie ein.
„Das dauert alles viel, viel zu lange.“
Robin war ungeduldig. Er wartete bereits über eine Viertelstunde auf seine Zigaretten, und Roger hatte es sträflicherweise vorgezogen, erst die Bettflaschen zu verteilen, anstatt sofort seinem Befehl zu folgen.
Roger sah aus wie ein zerzauster, magerer Vogel. Seine hervortretenden blassblauen Glubschaugen wurden nur noch von seiner dünnen, langen Nase übertroffen, die aus seinem schmalen Gesicht hervorstach wie ein Storchschnabel. Sein winziges Mündchen mit der etwas hängenden Unterlippe wirkte immer etwas feucht, und sein fliehendes Kinn schien stufenlos in den dürren Hals mit seinem gewaltigen Adamsapfel überzugehen. Sein Gesicht wurde von weichen, feinen möhrenroten Löckchen umrahmt, und seine großen Segelohren leuchteten im Gegenlicht immer, als seien sie dünn wie geädertes Papier.
Roger zuckte zusammen. Er hielt sich selbst gar nicht für so ängstlich, aber es war ihm fast unmöglich, Robins gebieterischer Stimme zu widerstehen.
Hastig eilte er in Richtung der Cafeteria, um Robin schnellstmöglich zufriedenzustellen.
Nach Robins Ansicht waren gewisse Menschen zum Sklaven geboren. Er hielt Roger für ein armseliges Würstchen, aber als Lakai war er ganz annehmbar.
Milde lächelnd ließ er sich von jenem bedauernswerten Etwas seine Glimmstängel überreichen.
„Du bist echt in Ordnung, mein Lieber“, sagte er und lehnte sich behaglich zurück, sofern der unbequeme Stuhl dies zuließ.
Roger lächelte schwach. Er war in seinem Leben bisher selten gelobt worden.
„Ich brauch’ Feuer.“
Roger kramte gehetzt in seiner Hosentasche. Er hatte wie immer doch ein Feuerzeug dabei, so für alle Fälle ... oder doch nicht?
„Au Mann! Wird’s bald?“
Robin ließ die Zigarette auf seiner Unterlippe nach unten hängen. Er sah ausgesprochen genervt aus.
„Ich ... ich finde das Feuerzeug nicht!“ stammelte Roger kläglich.
„Du bist der letzte Hänger, weißt du das?“
Ja, Roger wusste das. Ähnliches war ihm sein ganzes Leben lang gesagt worden.
„Ich besorg’s! Moment!“
Kurze Zeit später konnte Robin ein paar elegante Rauchkringel in die Luft entsenden.
Gleich war endlich Übergabe, und dann war Schluss für heute mit dem entnervenden, unwürdigen Mist hier. Robin war die weißen Kittel satt, die sogenannten Ärzte, und
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