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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Schwellungen, aufgeplatzter Haut und Blut, das bereits klebrig war. Aus seinem kleinen Mund sickerte etwas Blut auf die Straße. Auch aus den Ohren lief ein dunkles Rinnsal den dünnen Hals entlang.
    „Oh, du elendes Stück Scheiße, was tust du mir da an!“ stieß Robin hervor.
    Wütend starrte er auf die Leiche.
    Er sah sich unruhig um. Er fluchte.
    Dann fiel sein Blick auf die Müllcontainer. Sie standen keine zwanzig Meter von ihm entfernt am Straßenrand in ihrer Nische. Kurz entschlossen packte er Rogers Überreste, lud sie sich auf die Schulter und stapfte auf die Container zu.
    Keuchend öffnete er eine Klappe nach der anderen. Endlich fand er einen nur halb gefüllten, zwängte Rogers Kopf und Schultern hindurch und schob den Rest hinterher. Bald war Roger vollständig in dem gierigen, breiten Schlund verschwunden. Robin bedeckte ihn mit ein paar großen Müllsäcken aus dem Nachbarcontainer und drückte die Klappe zu.
    Hoffentlich kam die Müllabfuhr bald.

Nun waren aber gerade die hundert Jahre verflossen,
und der Tag war gekommen, wo Dornröschen wieder erwachen sollte.
Als der Königssohn sich der Dornenhecke näherte, waren es lauter große schöne Blumen,
die taten sich von selbst auseinander und ließen ihn unbeschädigt hindurch,
und hinter ihm taten sie sich wieder als eine Hecke zusammen.
    Gebrüder GRIMM, Dornröschen

    U riels erregte Stimme macht alle unruhig.
    „Sie sind jetzt überall!“ stieß er hervor, „sie patrouillieren durch alle Straßen! Sie suchen uns! Bald kann sich keiner von uns mehr nach draußen trauen!“
    „Dann müssen wir halt hierbleiben“, sagte Udolpho, „wie einige von uns es ohnehin bereits tun.“
    „Es werden derzeit mehr Bürger als bisher abgeholt“, sagte Aram bedrückt.
    „Das ist Harlans Werk!“ sagte Raphael. „Er ist durch Darius’ Verschwinden alarmiert und fürchtet unseren Einfluss!“
    „Es läuft alles auf eine Entscheidung hinaus“, murmelte Berenike. „Entweder, wir bringen alle zum Erwachen oder wir verfallen wieder in unseren endlosen Schlaf. Entweder siegt Harlan oder wir.“
    Eleonora betrat den Gewölbesaal. Sie sah unmerklich verändert aus, ohne dass die Anwesenden sich zunächst erklären konnten, warum.
    In der Hand hielt sie eine wundervolle, dunkelrote Rose.
    Serge bemerkte es als Erster.
    „Seht! Ihre Wangen!“
    Ein zartes Rosa war auf Eleonoras Wangen getreten. Und ihre Lippen zeigten ebenfalls Spuren eines tiefen Rotes. Bei näherem Hinsehen wurde deutlich, dass sich ihre hellen Augen kaum merklich ins Bläuliche gefärbt hatten.
    Hinter ihr kam Grim durch die Tür. Darius folgte ihm. In seinen Händen hielt er einen gewaltigen Strauß dieser Rosen, und alle waren sofort hingerissen von ihren Farben und ihrer Pracht.
    Es war wie ein Fest. Die ängstliche Anspannung von eben war einer euphorischen Ergriffenheit gewichen. Erregte Hände griffen nach duftenden Blüten, und andächtige Gesichter sahen auf betörende Farben. Ein zarter, doch deutlicher Duft lag auf der ganzen Runde.
    „Das ist erst der Anfang!“ sagte Darius. „Ich hoffe, genau dorthin wieder zurückkehren zu können, woher ich dies habe. Ich werde weitere Dinge beschaffen, die uns mit dem Leben drüben verbinden. Und ich werde Wissen mitbringen von dort, das uns helfen wird!“
    Darius sah ebenso glücklich wie erschöpft aus.
    „Verzeiht, wenn ich mich zurückziehe“, sagte er, „aber ich habe in so kurzer Zeit so viel erfahren, dass mir ist, als hätte ich einen hohen Berg bezwungen. Ich bin ein wenig verwirrt und müde.“
    Grim begleitete ihn zu seiner Schlafkammer.
    „Wie willst du nun genannt werden? Darius, so wie wir es gewohnt sind, oder Dankwart, wie du ursprünglich hießest?“
    Er überlegte.
    Ohne weiter nachzudenken sagte er: „Ich bin Dankwart. Darius ist der Name, den man mir gab, um nicht mehr verbunden zu sein mit dem, zu dem ich noch immer gehöre. Er ist ein Attribut von all dem, was wir hier ablegen möchten.“
    „So sei es, Dankwart. Vielleicht wirst du mich demnächst auch anders nennen müssen. Und all die anderen auch.“

    Dankwart lag auf seinem Lager, aber trotz seiner Müdigkeit wollte sein Geist nicht ruhen. Unter seinen flimmernden Augenlidern suchten seine Augen fieberhaft nach Bildern, die aus den Tiefen seines früheren Lebens aufstiegen. Er dachte an seinen Sohn Anton, den er vor den feindlichen Geschützen gerettet hatte, an die beiden Liebenden auf der Waldlichtung und an Berthold, der vielleicht mehr mit ihm

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