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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Entspannung versunken waren. Vermutlich waren sie gerade auf Reisen, bei den Ihren, ihren Kindern, Frauen, Männern, Eltern, Geliebten oder wem auch immer. Still und friedlich war es hier. Jegliche Düsternis von früher war verschwunden. Ein meditativer Ort der Begegnung.
    Die Stadt war erwacht. Wenige waren bereits hier, doch es würden immer mehr werden. Dankwart betrachtete das ganze Werden mit Stolz, so als wäre dies sein Werk.

    Die Pforte bei der Kaserne war diesmal unverschlossen. Dankwart betrat den Großen Saal, und gelangte durch die Seitentür in Haralds Zimmer.
    Harald saß auf einem Sessel und blickte aufs Meer. Er blickte nicht auf, als Dankwart sich neben ihn setzte.
    „Harald!“
    Harald schwieg. Er blickte starr geradeaus.
    „Was willst du?“ fragte er nach einer Weile.
    „Ich komme, um dich abzuholen.“
    „Wohin willst du mit mir gehen?“
    „Nach draußen. In die Sonne. Zu den anderen.“
    „Ich gehöre nicht zu euch.“
    „Doch, das tust du.“
    „Du weißt, dass es nicht so ist.“
    „Aber warum?“
    Harald sah ihn jetzt an.
    „Weil ich der bin, der sie unterdrückt hat. Das Oberhaupt der Wachen, die Angst und Schrecken gebracht haben. Der Bewahrer der Renaturierung. Der Verwalter des Bösen. Der Unterdrücker des Lebens. Der Prediger der Dumpfheit.“
    Er blickte auf die Stadt, die jetzt golden im Sonnenlicht schimmerte.
    „Es ist gut so, wie es gekommen ist. Es ist wundervoll anzusehen, dieses Licht. Diese Farben. Diese Wachheit – sie ist wie ein Rausch.“
    „Deine Mutter wartet auf dich.“
    Harald atmete schwer.
    „Meine Mutter? Sie ist hier?“
    „Ja. Sie ist eine sehr schöne Frau. Sie hat bereits viel nach dir gefragt.“
    Harald schossen die Tränen in die Augen.
    „Ich kann nicht“, schluchzte er. „Ich möchte ja, aber ich kann nicht.“
    Dankwart erkannte jetzt deutlicher denn je, wie ähnlich er Elizabeth sah.
    „Ja, ich möchte zu meiner Mutter“, sagte Harald. „Aber ich kann nicht mit dir mitkommen. Ich habe meine Zugehörigkeit für immer verspielt.“
    „Das kann nicht sein.“
    „Und dennoch ist es so.“
    Er deutete mit seiner Hand auf die strahlende Stadt.
    „Sieh doch nur: Diese Schönheit! Das Glitzern der Wellen. Der Duft des Meeres. Das Sprießen der Blumen überall. Das Summen der Insekten, das Schreien der Vögel. Und so vieles mehr, das jetzt alle neu entdecken werden. Allen wird bewusst werden, was sie vermisst haben, all die Zeit. Was ihnen vorenthalten worden ist, willentlich vorenthalten. Und sie werden wissen, dass ich daran schuld bin.
    Nein, Dankwart, du kannst nicht davon ausgehen, dass alle mich so verstehen wie du. Ich kann nie wieder zurück zu euch. Niemals werden die Menschen mich wieder in ihre Gemeinschaft aufnehmen.“
    „Ich werde ihnen von dir erzählen.“
    Harald lachte schmerzlich.
    „Du kennst die Menschen nicht“, sagte er. „Menschen sind undifferenziert. Sie sind oberflächlich. Sie urteilen eher, als dass sie verstehen wollen. Das ist bequem und einfach. Das, was du ihnen erzählen willst, werden sie gar nicht hören wollen.“
    Er stand jetzt auf und begann, auf- und abzugehen.
    „Ich habe es alles erlebt. ‚Die Juden sind unser Unglück’ stand damals in den Zeitungen. Die Leute lasen es und glaubten es. Einfach so. Man hielt es nicht für nötig zu überprüfen, ob das überhaupt stimmt.
    Das war doch schon immer so, zu allen Zeitaltern der Menschheit. Man bejubelte die Verbrennung unschuldiger Frauen als Hexen, weil man sich sicher war, dass sie mit dem Teufel im Bunde stehen. Woher nahm man diese Sicherheit, wenn wir doch inzwischen wissen, dass es nicht wahr sein kann ?
    Warum erklärte man große Erfinder oder Entdecker für verrückt oder zu Ketzern, obwohl sie doch nichts als die Wahrheit sagten?
    Weil Menschen nicht objektiv sind. Sie sehen das, was sie sehen wollen. Erfundene Wahrheiten sind einfacher, freundlicher, gefälliger. Und Menschen brauchen Schuldige.
    In meinem Fall haben Sie doch sogar recht. Ich bin der Herr dieses Ordens, sofern es ihn noch gibt. Ich habe die Rückkehr zu euch allen doch gar nicht verdient.“
    „Du überschätzt dich. Große Entwicklungen, wie etwa die hier in dieser Stadt, werden doch nicht von einer einzelnen Person erschaffen und gelenkt. Du hast diesen Orden weder gegründet, noch die Tempelzeremonien entwickelt, noch die Wachen erschaffen. Du musstest dich sogar selber aus der Betäubung befreien, die dir auferlegt war, wie allen anderen auch.“
    Harald sah

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