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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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zusammengebissen, dass es schmerzte.
    „Ich werde dieses verfluchte Arschloch umbringen!“ zischte er.
    Dann nahm er Leni heftig in den Arm und drückte sie an sich, bis er merkte, dass sie ruhiger wurde.
    „Warum hast du mir das nie erzählt?“ fragte er jetzt, während ihm die Tränen herunterliefen. Sein Hals entkrampfte sich spürbar, als er so seinem Schmerz freien Lauf ließ.
    „Es war mir weit entfernt“, sagte Leni jetzt viel gefasster. „Erst jetzt erinnere ich mich wieder an alle Einzelheiten. Und ich hatte Angst.“
    „Vor Robin? Hat er dich wieder bedroht?“
    „Sein Vater. Er sagte, er bringt mich um, wenn ich etwas sage.“
    Sie strich sich ihr Haar aus dem Gesicht. Jetzt lachte sie bitter.
    „Er hat mir Geld geboten, wenn ich den Mund halte.“
    „Geld? Wieviel Geld?“
    „Fünftausend Mark.“
    „Fünftausend Mark ist ihm ein Menschenleben also wert.“
    Berthold war jetzt ganz ruhig. Er begann, sich anzukleiden.
    „Sie sollen ins Gefängnis. Alle.“
    Leni blickte jetzt entsetzt.
    „Er hatte wirklich diesen Blick!“ stammelte sie.
    „Welchen Blick?“
    „Dass er es tun würde! Den umzubringen, von dem er sich bedroht fühlt!“
    „Er wird in Kürze reichlich Grund haben, sich bedroht zu fühlen!“ sagte Berthold fest.
    „Aber wenn er dir etwas tut!“
    Berthold hielt kurz inne. Nein, er hatte gar keine andere Wahl.
    „Wenn mich die ganze Geschichte meiner Angst und die von meinem Urgroßvater etwas gelehrt hat, dann vor allem eines: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Je mehr wir uns von ihr beherrschen lassen, desto schwächer werden wir. Und desto mehr lassen wir die triumphieren, die uns Angst machen wollen.“
    Entschlossen zog er seinen Gürtel fest.

    Marianne Kutscher, die Oberärztin, klaubte gerade die letzte Zigarette aus der dritten Schachtel für heute. Es wurde eindeutig zu viel, kein Zweifel. Mit ihren sechsunddreißig Jahren hätte sie auch für zehn Jahre älter gehalten werden können. Ihre Haut wirkte leicht graugelb, die dunklen Ringe um ihre grauen Augen mochten nie so recht verschwinden, und einige tiefe Falten um Augen und Mund verliehen ihr den Ausdruck ständig schlechter Laune. Ihr bereits sprichwörtliches Single-Dasein und ihre resignierende Einsicht, ihre verdrängten Träume von Ehe und Familie bald endgültig begraben zu müssen, mochte ein zentraler Grund dafür sein. Vielleicht war es auch das ständige Kommen und Gehen immer der gleichen Patienten, ohne dass es eine wirkliche Aussicht auf echte Heilung geben konnte. Schon gar nicht hier in der Akutaufnahme der Psychiatrie.
    „Herr Frauendorff ist jetzt wach.“
    Auf Herrn Frauendorff hatte sie jetzt besondere Lust, nämlich gar keine. Dringend tatverdächtig der Vergewaltigung und schweren Misshandlung einer jungen Frau. Dringend tatverdächtig der schweren Misshandlung und des Mordes an einem Krankenpfleger. Derzeit Vollbild einer paranoiden Schizophrenie, womöglich aber auch nur vorgetäuscht. Die Übererregung, der nur mit einer ordentlichen Dosis Valium beigekommen werden konnte, war allerdings zweifellos echt. Zusammen mit einem Neuroleptikum war er nun endlich zur Ruhe gekommen.
    Genervt drückte sie die Zigarette aus. Nur noch dieses eine Gespräch, dann war Feierabend für heute. Sie begab sich diszipliniert wie immer in das Behandlungszimmer.
    Der Patient wirkte teigig und abgeschlafft. Ein großer, fast massig wirkender Mann, der mit seiner kleinen Stupsnase und dem weichen Gesicht eher wie ein kleiner Junge wirkte. Trotz seiner Bräune wirkte er käsig, und durch seinen teuren Haarschnitt wirkte er aufgeblasen und elitär, besonders, wenn man sich die Goldkette und die Ringe hinzudachte, die ihm bei der Aufnahme vorsorglich abgenommen worden waren.
    Dr. Kutscher begrüßte den Patienten mit üblicher distanzierter Freundlichkeit.
    „Herr Robin Frauendorff, geboren am 16.08.1973?“
    Der Mann nickte. Abschätzig schob er die Unterlippe vor, so als sei er der Professor und sie sein Prüfling.
    „Ich sehe, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht“, sagte er und lächelte wohlwollend.
    „Das muss man hier auch“, gab sie ebenso lächelnd zurück.
    „Wissen Sie, warum Sie hier sind?“
    Der Patient sagte eine Weile nichts und blickte nur blasiert. Vielleicht kämpfte er auch nur gegen den Nebel der Medikamente an, die sich seines Nervensystems bemächtigt hatten.
    „Ich denke, diese Maßnahme soll meiner Sicherheit dienen“, sagte er dann.
    „Das ist bestimmt so. Können Sie mir

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