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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Unbeständige. Doch nein! Sein Erfolg war anhaltend. Sein Ruhm stieg und stieg, und auch sein Reichtum. Der einzige Mensch, mit dem ihn eine dauerhafte Freundschaft verband, war Pater Medardus.
    Maria und Gertrud hatten diese Probleme offenbar nicht. Beide waren inzwischen verheiratet. Es waren redliche, tüchtige Männer, die sie ausgewählt hatten, mit dem Selbstbewusstsein, was sie selbst wert waren. Benedikt hatte bereits drei Neffen und zwei Nichten, und Gertrud war gerade mit ihrem dritten Kind schwanger. Man konnte sagen, was man wollte: Das Leben war gut weitergegangen.
    Wie schon seinen Schwestern erzählte er deren Kindern gerne Geschichten, unternahm mit ihnen Spaziergänge und erklärte ihnen die Pflanzen.
    Und die Menschen.
    „Es gibt drei wichtige Eigenschaften, die ihr haben müsst“, sagte er ihnen.
    „Erstens: Glaubet an euch und an das, was ihr könnt und was ihr seid. Wisset, dass das, was ihr noch nicht könnt, erworben werden kann. Habt Vertrauen in euch und in all das, was euch Gott und eure Eltern gegeben haben.
    Zweitens: Sehet vor euch und erkennt, wohin ihr gehen wollt. Machet ein Ziel aus, auf das ihr zugehen könnt, so werdet ihr nicht fehlgehen und euch in Abwegen verirren. So werdet ihr stets nach vorne blicken und Vergangenes zurücklassen können.
    Drittens: Lasst euch helfen von denen, die euch wohlgesonnen sind. Ohne Hilfe kann niemand überleben. Nur durch Zusammenhalt seid ihr wahrhaft stark. Vermeidet Streit unter euch, denn die Liebe innerhalb der Familie ist kostbar.
    Keine dieser Eigenschaften kann die anderen jeweils ersetzen. Ihr müsst sie alle drei bewahren. Dann könnt ihr glücklich werden.“

„Was ich euch sagen möchte,
meine geliebten Söhne
und Töchter:
Das, was Mann und Frau,
Eltern und Kinder,
Brüder und Schwestern
miteinander verbindet,
ist wie ein elastisch Band.
Es dehnt sich wohl,
aber es reißt niemals ab.
Wir können uns nie verlieren.“
    UTHA-UTHA, Carmilhán

    E leonora betrachte schweigend das Bild, das Dankwart ihr gereicht hatte.
    „Ich erinnere mich an ihn. Wie konnte ich ihn je vergessen!“ sagte sie.
    Sie sah Dankwart in die Augen und ergriff seine Hand.
    „Ich werde ihn wiedersehen, nicht wahr?“
    „Ja. Das wirst du. Im Drüben, wenn du möchtest, oder auch im Hier.“
    Ihr Gesicht war voller Trauer.
    „Das heißt, dass er gestorben ist.“
    „Ja. So wie ich. So wie du. Es ist nicht schlimm, wie du siehst.“
    Sie bedeckte ihren Mund mit den Fingerspitzen.
    „Er ist hier?“
    „So ist es. Du wirst ihn bald sehen.“
    Jetzt lächelte sie unter Tränen. Ihre Augen waren blau wie das Meer, das sie noch nie gesehen hatte.
    „Das ist schön“, sagte sie. Sie gab sich ebenso tapfer und standhaft wie Harald, obgleich ihr die Tränen über die Wangen liefen.
    „Ja, das ist es.“
    „Und dennoch kann ich ihm in seinem gelebten Leben beistehen?“
    „Ich weiß es nicht. Ich kann nur berichten, dass ich es konnte. Ich war bei meinem Sohn, und ich habe ihm, glaube ich, das Leben gerettet, obwohl er in seinem jetzigen Leben schon ein alter Mann ist. Die Zeit scheint eine andere Bedeutung zu haben als früher, als wir noch im Diesseits weilten. Ich war bei meinem Enkel, und bei meinem Urenkel. Und bei meiner Frau. Ich nehme an, dass auch sie hier ist, in der Stadt. Ich werde sie suchen.“
    Ein leichter Anschein von Enttäuschung flog über Eleonoras Anlitz.
    „Und mein Name ist also Elizabeth“, sagte sie. „Elizabeth Murray. Später dann Elizabeth Nachtmann. Daran werde ich mich erst gewöhnen müssen.“
    George blätterte gebannt in seinem selbstverfassten Kinderbuch. Seine blauen Augen leuchteten voller Lebensfreude. Schelmisch blinzelte er Dankwart zu. Neben ihm stand eine frisch entkorkte Flasche Portwein, dem er schon ein wenig zugesprochen hatte, dazu ein Schälchen Rauchmandeln, sowie eine kleine Holzkiste mit Aachener Printen, an die Dankwart jetzt auch eine vage Erinnerung hatte, sie früher einmal gekostet zu haben.
    „Ich studiere gerade mein Jahrhundertwerk“, witzelte George kauend. „Ich gebe zu, ich hatte gehofft, irgendein wichtiger Politiker oder Philosoph gewesen zu sein, oder vielleicht ein Erfinder. Aber ein Buch, in das sich Kinder verlieben, und das mittlerweile mehrere Generationen kennen, ist vielleicht sogar weitaus mehr wert!“
    Dankwart lachte. Jetzt, wo Grim wieder zu George geworden war, waren sein feinsinniger Humor und seine Lebenslust noch größer und unmittelbarer. Kleine Funken schienen aus seinen

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