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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Augen zu sprühen, und sein Geist wirkte frisch und jung wie ein Kind, das die Welt neu entdeckt.
    „Ist es dir gelungen, zu reisen?“
    „O ja, das ist es!“ sagte George. „Ich war bei meinen Eltern in Cornwall. Es währte nur kurz, doch es brachte mir unzählige Erinnerungen an eine glückliche Kindheit mit liebevollen Eltern. Ich spüre sie in mir, alle beide.“
    „Leider vermute ich, dass ich nie geheiratet habe und wohl auch keine Kinder in die Welt gesetzt habe“, sagte er dann etwas bekümmert.
    „Aber“, und damit schwenkte er sein Maulwurfsbuch durch die Luft, „vergessen werde ich trotzdem so schnell nicht!“

    Dreimal war die Sonne auf- und wieder untergegangen. Die Brüder und Schwestern schwelgten in Erinnerungen. Dankwart beobachtete, wie sie mit wieder rosigen Gesichtern und roten Lippen aufgeregt und ergriffen ihre Erlebnisse austauschten. Einige erzählten mit leuchtenden Augen, überschäumend von Eindrücken von ihrer Entdeckungsreise in das eigenen Leben von damals, andere zogen sich eher still zurück. Einige hatten einen wehmütigen Ausdruck in ihren Augen, andere weinten still vor sich hin. Und einige lachten. Es war fast unwirklich, in diesen sonst so dunklen Gewölben wieder fröhliches, unbeschwertes Lachen zu hören.
    Schließlich war der große Tag da, dem alle in ebenso euphorischer, wie auch banger Erwartung entgegensahen. Nach Dankwarts Einschätzung war es nun an der Zeit, und die größte Gefahr war vorüber.
    George und Elizabeth an der Seite, mit Uriel, Raphael, Aram und Baruch mit dem allgegenwärtigen Melmoth auf der Schulter bildeten sie die Spitze einer langen Prozession, die durch die vertrauten Gänge zog, dem Ausgang zu.
    Feierlich öffnete George pochenden Herzens die Tür. Teils erschrockene, teils begeisterte Ausrufe begleiteten das plötzlich einfallende Licht. Viele hielten sich angstvoll die Hände vor das Gesicht, um dann festzustellen, dass es Wärme war, die ihnen entgegenstrahlte. Angenehme, belebende Wärme.
    George und Elizabeth an den Händen haltend, trat Dankwart in die Sonne.
    Es war früher Morgen. Die Lichtstrahlen hatten noch etwas Zartes, Mildes, ließen aber bereits die Kraft erahnen, die die Sonne herüberschickte. Einige wenige Wolken waren am Himmel, der bereits ein prachtvolles Blau hatte. Das Meer rauschte in seiner türkisenen Pracht, und das Sonnenlicht glitzerte auf den Wellen wie schimmernde Edelsteine. Einige Möwen flogen kreischend um die Felsen herum, an denen sich die Wellen stürmisch brachen.
    Elizabeth klammerte sich an seinen Arm. Der Wind, der jetzt ihr Haar erfasst hatte, und die Sonne in ihren Augen ließen sie bezaubernd aussehen. Furchtsam wirkte sie, und das erste Mal schutzbedürftig angesichts der Wucht an neuen Eindrücken, die ihr offenkundig schier den Atem nahmen.
    Die Stadt hatte sich bereits verändert. Der Eindruck des Verfallenen, Toten, hatte sich gewandelt. Einige Gebäude ließen bereits wieder die alte Pracht erahnen, in deren Geiste sie erbaut worden waren. Das Schloss erglühte majestätisch erhaben in einem Glanz, der neu und frisch schien und doch die Kraft und die Seele von vielen Jahrtausenden ausstrahlte.
    Dankwart sah durch Antons Feldstecher auf den Ygâr-Dá. Erstaunt stellte er fest, dass selbst dieser klobige, verfallene Turm aussah, als habe man ihn restauriert. Die rissigen, verwitterten Mauern wirkten geglättet, die Spitze, die wegen der herausgebrochenen Mauerquadern stets unregelmäßig ausgesehen hatte wie ein fauler Zahn, war glatt und ebenmäßig.
    Dennoch scheute er sich, ihn zu betreten. Es zog ihn aber in diese Richtung, hin zum Observatorium.
    Hin zu Beda.
    Er entfernte sich alsbald von all denen, die wie bezaubert, ungläubig, entrückt auf die sonnenbeschienene Landschaft schauten. Hundert Augenpaare, die Jahre, Jahrzehnte, oder noch länger nichts als Nacht und dunkles Steingewölbe erblickt hatten, ergriffene Gesichter, die zum ersten Male bewusst von der Sonne beschienen wurden.
    Ungeduldig war er nun, und seine Schritte schienen ihm jetzt nie schnell genug.
    Endlich stieg er die vertrauten Stufen hinauf, gelangte in den Innenhof und betrat das Observatorium. Am oberen Ende der Treppe angekommen, betrat er die wohlbekannte Arbeitsstube.
    Erleichtert stellte er fest, dass alles gereinigt wirkte, als habe gerade erst jemand sauber gemacht. Die Spinnweben waren verschwunden. Ein paar Schritte weiter erlaubten ihm den Blick zum Teleskop. Der stumpfe Belag auf den

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