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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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dozierend vor.
    „Sie wirkt nur so klein und hilflos. Tatsächlich aber war sie die ganze Zeit hinter mir her. Man könnte auch drastischer formulieren: Sie war scharf auf mich. Sie hat mich immer aufgestachelt, wieder und wieder, bis sie mich endlich soweit hatte, dass ich ihr völlig ergeben war. Dann hat sie mich fallenlassen, und sie hatte Freude daran! Sie hat mich damit tief verletzt. Das war aber bereits Teil des ganzen Planes. Mein Vater hat sie sogar dafür bezahlt.“
    „Und wozu sollte das gut sein?“
    „Ich habe meinen Vater seit langem im Verdacht, aber mittlerweile bin ich mir sicher, dass er Mitglied einer Freimaurerloge ist, und von dort aus überall seine Fäden zieht. Er hat überall seine Jünger. Bis zur Regierung reicht sein Einfluss. Die ganze Gesellschaft ist durchzogen von Geheimbünden dieser Art. Auch in dieser Klinik hier treiben sie ihr Unwesen, glauben Sie’s mir! Sie fürchten intelligente, selbständig denkende Menschen wie mich. Ich bin Freidenker, Künstler, Wissenschaftler. Das waren wir Juden schon immer, und das hat auch schon immer den Neid der Unterprivilegierten auf sich gezogen! Man will mich demütigen und vernichten, wie so viele meines Volkes gedemütigt und vernichtet wurden. Doch ich habe mich gewehrt!“
    „Sie haben Ihren Krankenpflegerkollegen Roger Großmann umgebracht.“
    „Verstehen Sie denn immer noch nicht? Das ist doch alles Teil des Planes! Roger terrorisiert mich seit Tagen, um mich wahnsinnig zu machen! Er will, das ich mich suizidiere!“
    „Wie hat er denn das gemacht?“
    Der Patient lehnte sich wiederum vor.
    „Er lauerte mir in der Klinik auf“, raunte er ihr jetzt komplizenhaft zu, „und machte einen auf entstelltes Opfer! Dann drang er in meine Wohnung ein und besudelte mich mit ekelerregenden Zeug, Spucke, Kotze oder was weiß ich noch alles!“
    Er schüttelte sich.
    „Er versuchte mich zu küssen, diese widerliche Schwuchtel!“
    „Die Leiche von Herrn Großmann ist vor einer Woche gefunden worden. Er war schon mehrere Tage tot. Das müsste dann schon sein Geist gewesen sein.“
    Der Patient schaute jetzt verstört. Dann blitzte etwas auf in seinen Augen.
    „Was wissen Sie denn schon davon! Sie sind doch nur eine dumme arische Frau.“

Ich habe schon von den großen Palästen gesprochen, die zwischen dem vielfältigen Grün verstreut lagen, einige als Ruinen, und andere noch bewohnt. Hier und da erhob sich eine weiße oder silbrige Skulptur in dem verwilderten Garten der Erde, hier und da die scharfe Kontur einer Kuppel der eines hochstrebenden Obelisken. Es gab keine Hecken, keine Anzeichen von Eigentumsrechten, kein Zeugnis der Landwirtschaft; die ganze Erde war ein Garten geworden.
    Herbert George WELLS, The Time Machine

    I m Schein der untergehenden Sonne veränderte die ganze Welt ihre Farbe. Dankwart genoss den Anblick in vollen Zügen. Das sonst so blaue Meer wirkte jetzt golden, zuweilen fast purpurn, um dann wieder rötlich zu schimmern. Die Sonne erschien nun wie ein großer, roter Feuerball, der sich anschickte, hinter dem Horizont in den Fluten zu versinken.
    Er ließ sich bequem auf einem Mauervorsprung nieder und spürte die Wärme in seinem Gesicht. Von dort aus konnte man gut in den Hafen einsehen, in den nun auch bei Tageslicht zahlreiche Boote einfuhren.
    Einige Menschen standen am Kai und warteten. Ein kleines Mädchen in einem weißen Kleid und einem großen Sonnenhut lief auf einen Mann zu, der gerade aus einem der Boote ausgestiegen war. Er war kaum die Treppe bis zur Hafenmauer herausgestiegen, da fiel sie ihm schon um den Hals. Er hob die kleine, zierliche Gestalt hoch und drückte sie fest an sich. Sie verlor dabei ihren Hut, der im Abendwind davongetragen wurde.
    Ein Mann half einer Frau an Land, indem er ihr die Hand entgegenreichte und sie zu sich heraufzog. Sie sahen sich erst eine ganze Weile in die Augen. Dann küssten sie sich.
    Ein weiteres Paar stand Arm in Arm an der Kaimauer und sie winkten einem nahenden Boot zu.
    Es war eine Art melancholischer Freude, die er empfand. So hatte er auch gefühlt, als er Elizabeth sah, wie sie sich aufmachte, um zu Harald zu gehen. Ihr ganzer Körper hatte diese Sehnsucht, dieses Verlangen geatmet, als sie davonlief, auf das Schloss zu, um endlich jemanden in die Arme zu schließen, den sie so lange vermisst hatte. Ihre langen Haare wehten im Wind, sie hatte den Rock hochgerafft, und ihre Schritte schienen mit jedem Meter schneller zu werden, mit dem sie den Abstand

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