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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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zu ihrem Sohn verringerte.
    Dankwart hörte ein Räuspern hinter sich. Er wusste schon bevor er sich umwandte, wer das war.
    Beda kletterte elegant auf die Mauer und setzte sich neben ihn. Etwas verschämt sah er aus, und dann doch wieder so scherzhaft und ironisch, wie Dankwart ihn kannte. Dies drückte sich auch dadurch aus, dass er betont brav und artig seine Beine parallel hielt und die Hände in den Schoß legte, als sei er ein Töchterchen vornehmer Herkunft. Neckisch wippte er mit den Füßen.
    Dankwart blinzelte zu ihm herüber.
    „Ein wunderbarer Sonnenuntergang, nicht?“
    „Wohl wahr, wohl wahr!“ sagte Beda. „Ich hätte kaum gewagt, noch davon zu träumen.“
    „Aber du erinnertest dich?“
    „Kaum noch. Ich hatte das Erinnern fast vergessen. Jetzt möchte ich lieber das Vergessen vergessen.“
    „Erinnerst du dich an früher? Ich meine: an ganz früher?“
    Beda bekam ein verträumtes Gesicht. Er schmunzelte.
    „O ja. Wieder. Ich hatte ein recht bewegtes, erfülltes Leben, möchte ich sagen. Vielleicht bin ich deshalb immer noch hier.“
    „Was willst du damit sagen?“
    Beda gähnte und streckte sich erst ausgiebig, bevor er antwortete.
    „Ach, weißt du, als ich vor langer Zeit in diese Welt kam, war ich satt und zufrieden von all dem, was ich durchlebt hatte. Es war gut und stimmig für mich, nun Ruhe zu haben. Ich hatte viele Aufgaben erfüllt, hatte mich um die gekümmert, die mir anvertraut waren, und ich denke, ich habe das ganz gut gemacht, auch wenn mir vieles nicht so geglückt ist, wie ich es wollte. Ich habe viel Wissen angehäuft, habe dieses Wissen weitergegeben, und zu nutzen verstanden, so gut ich konnte.
    Und ich habe viele Frauen geliebt, oh ja, wirklich sehr viele. Das war fast schon mehr Arbeit als Vergnügen.“
    Sein Gesicht zeigte dennoch ein unverhohlen genießerisches Lächeln. Er wirkte äußerst zufrieden mit sich.
    „Was warst du? Wie hast du geheißen?“
    „Ich hieß damals Benedikt. Und ich war Drogist. Und Heiler. Und Vormund und Lehrer für meine kleinen Geschwister, später für meine Nichten und Neffen, und vieles andere.“
    „Dann hattest du es gut. Ich habe vieles nicht machen können, was ich noch gerne erlebt hätte. Noch nicht einmal meinen Sohn hatte ich kennengelernt.“
    „Ich hatte dafür keine eigenen Kinder.“
    „Wie kam das? Am Mangel an Frauen wird es doch wohl nicht gelegen haben?“
    „Wohl eher nicht! Aber die richtige Frau ... die habe ich nicht gefunden. Vielleicht wollte ich sie auch gar nicht finden. Ich hatte mir nie vorstellen können, mein Leben mit einer einzigen Frau zu verbringen.“
    Er riss einen Grashalm aus und wickelte ihn zu einer kunstvollen Spirale um seinen Zeigefinger.
    „Oft dachte ich auch an meinen kleinen Bruder, den niemand heilen konnte. Er starb mit zwölf Jahren. Er war ein so kluger, netter kleiner Bursche. Als er starb, dachte ich, dass ich am liebsten auch sterben möchte. Damals hatte ich den Eindruck, ich könnte es nicht ertragen. Aber ich musste, denn meine kleinen Schwestern brauchten mich. Vielleicht habe ich mich aber deshalb davor gefürchtet, eigene Kinder zu haben.“
    Beda wirkte jetzt angerührt, so wie ihn Dankwart noch nicht erlebt hatte.
    „Hast du ihn hier wiedergefunden?“
    „Nein.“
    „Warum nicht? Hast du ihn nicht gesucht?“
    „Doch! Ich habe sogar viel und oft nach ihm gesucht. Aber er war nicht mehr hier.“
    „Aber wo war er dann?“
    „Er ist zurückgekehrt. Er hatte bereits ein neues Leben begonnen, als ich dieses Ufer erreichte.“
    Dankwart starrte ihn an.
    „Wir ... wir kehren zurück?“
    „Aber ja. Wir verweilen hier eine Weile, erledigen vielleicht noch das, was uns mit dem Früher verbindet ... und wenn es uns erneut ins Leben zieht, gehen wir durch das Schwarze Tor. Mein kleiner Bruder hatte nicht viel vom Leben gehabt. Es war kurz, und von seiner Krankheit bestimmt. Daher verstehe ich, dass er so bald als möglich von neuem beginnen wollte.
    Das war bei mir anders. Ich wollte mir damit zunächst noch Zeit lassen. Und als ich daran wieder dachte, hielt mich etwas zurück. Mir war angesichts dieser dunklen Zeit plötzlich, als machte ich mich aus dem Staube, ginge ich gerade jetzt.“
    Er sah auf Dankwart.
    „Du wirkst überrascht. Das Wesen des Schwarzen Tores ... wusstest du das nicht?“
    „Nein“, gestand Dankwart. „Aber ich weiß vieles nicht. Die Kunde vom Schwarzen Tor machte mir Angst. Ich dachte, es sei der Übergang in das Nichts, in das wir

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