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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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der jetzt in der Psychiatrie saß und vielleicht sein weiteres Leben dort verbringen würde. Oder im Gefängnis. Oder ...
    Eine kurze Eingebung durchzuckte ihn, ob Robin sich umbringen würde.
    Was musste in einer Seele vorgehen, anderen Menschen so etwas anzutun, wie Robin es getan hatte? Und wie war es möglich, so eine Schuld zu ertragen?
    Im Grunde hatte Robin jetzt nur noch die Auswahl zwischen Selbstmord oder Verrücktwerden.
    Er merkte, dass die Ungeheuerlichkeit dieser Ereignisse ihm Angst machte. Die Ausweglosigkeit und die endlose Einsamkeit, in der Robin für immer gefangen war, erschienen ihm so furchtbar, dass er seinen eigenen Ängsten wieder nah war, grauenvoll nah.
    Er blickte auf Leni, die in seinen Armen friedlich schlief. Sie schien keine wesentliche Schwäche in ihm zu spüren.
    Wieder dachte er an Dankwart. Seinen Schutzengel. Seit er sich seiner Gegenwart bewusst war, fühlte er sich stärker, mutiger, kraftvoller als früher. Und doch fühlte er noch immer eine letzte Furcht, etwas Schreckliches, das irgendwo lauerte, das ihn noch immer bedrohte.
    Inmitten zahlreicher Gedanken und Ängste, die an ihm zerrten, fiel er endlich in einen unruhigen, schlafähnlichen Dämmerzustand. Unruhig fühlte es sich an, und intensiv, wie im Delirium, und doch so eigenartig klar.
    Es war ein Traum. War es ein Traum?

    Der Schnee knirschte unter Bertholds Füßen. Es war bitterkalt, und ein eisiger Wind blies heulend schneidendscharfe Eiskristalle in sein gemartertes Gesicht. Jeder Schritt war von qualvoller Schwere, er schaffte es kaum, seinen Stiefel aus dem Schnee zu ziehen, um vorangehen zu können. Schemenhaft erkannte er die bizarren, felsigen Berge durch den nebeligen Dunst, der als Bodennebel an einigen feuchten Stellen, die wohl einen Wasserlauf oder sumpfige Stellen beherbergten, dichter war und dort förmlich zu kleben schien. In der Höhe deutete sich ein schwerer, bleigrauer Himmel an. Einige niedrige Büsche säumten den Weg, von den Schneemassen zu Boden gedrückt. Auch einzelne Bäume waren in der Ferne zu erkennen.
    Flüchtig dachte er an Leni, seine geliebte Frau. An seine Kinder, und auch das Baby, das er noch nie gesehen hatte. Er musste durchhalten, er musste.
    Er hatte Fieber, ganz klar. Er zitterte, und dies nicht nur von der Kälte. Eine lähmende Schwäche erfüllte seinen ganzen Körper. Zudem fühlte er einen stumpfen, drückenden Schmerz in seinem Unterleib und in der Seite.
    Obwohl jeder Schritt eine erneute Willensanstrengung bedeutete, trieb ihn etwas vorwärts. Er fürchtete sich vor etwas, das hinter ihm lag, obwohl die dumpfe Benommenheit der Erschöpfung eine fiebrige Gleichgültigkeit erzeugte. Er wollte nur fort von hier, weg von diesem verfluchten Ort, und er wusste von irgendwoher, wo er gehen musste.
    Richtig, dort war der Felsen, nach dem er gesucht hatte. Dahinter mussten sie sich links halten, dann begann der Abstieg ins Tal. Jetzt erst merkte er, dass er mehrere Begleiter hatte, die ihm folgten.
    Eine albtraumhafte, furchterregende Erinnerung tauchte auf. Ein fettes, hässliches Gesicht, ein massiger, abstoßender Mann, der sich in grauenhaften Qualen auf dem Boden wand. Das noch zuvor so grausame, selbstgefällige Gesicht jetzt violett verfärbt, die Augen aus den Höhlen tretend, die schwarze, dick geschwollene Zunge hervorquellend aus dem in Todespanik zum gurgelnden Schrei geöffneten Mund.
    Oh mein Gott! Was hatte er getan!
    Plötzlich strauchelte sein Hintermann. Ein hastiger Schritt, um den Fall zu verhindern - vergeblich. Berthold spürte seinen Kopf an seinem Unterarm. Angestrengt wich er aus, und stolperte dabei selbst. Eine Welle kranker Hitze durchfuhr seinen Körper bei dem Versuch, stehenzubleiben. Doch sein geschwächter Körper gab nach. Kopfüber stürzte er in den unberührten, erbarmungslos kalten, eisigen Schnee. Die Kälte drang sofort in seine Ohren, seinen Kragen, seine Handgelenke, bis in die Fingerspitzen.
    „Dankwart!“
    Die Stimme hatte einen vertrauten Akzent.
    Tirol.
    Südtirol.
    Zwei kräftige Händepaare griffen ihm unter die Achseln und zerrten ihn nach oben.
    „Es tut mir leid! Es tut mir leid!“ stammelte ein noch sehr junger Mann, der sich gerade wieder aufrappelte. Er trug eine blass-graublaue Militäruniform und einen Lodenmantel. Berthold entdeckte erst jetzt, dass auch er eine solche Uniform anhatte, wie auch alle anderen, die ihm gefolgt waren, insgesamt sechs Männer.
    „Dankwart! Ist alles in Ordnung?“ fragte einer von

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