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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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versetzen konnte, hat sich von der Schubiak einen Weisheitszahn ziehen lassen. Ohne Spritze. Er sagt, es war eine Erfahrung, auf die er nicht verzichten will. Diese Schubiak hat einfach den Dreh raus.«
    Auch Dieter, der Wirt, lobte die rabiate Schubiak in den höchsten Tönen. Seit sie ihm zwei schief gewachsene Backenzähne gerichtet hatte, aß er nur noch rohes Fleisch und plante eine Himalaya-Besteigung.
    Schmalenbachs Zahn fing wieder an zu schmerzen. Er bezahlte stumm und ging.
    Eine Woche später erhielt er einen Brief von seiner Krankenkasse. Der Ton hatte sich merklich verschlechtert. Man warf ihm Verweichlichung und asoziales Verhalten vor. Frau Dr. Schubiak hatte eine besonders kostspielige psychologische Betreuung abgerechnet, die nur bei chronisch verängstigten Schmerzpatienten mit schwerer Zahnarztphobie angewandt wurde.
    Schmalenbach war tief enttäuscht. Er beschloss, nie, nie wieder zum Arzt zu gehen.

Der Fonds
     
    Es gab ein Gerücht in der Stadt. Wahrscheinlich war Pfeifenberger der Überträger. Pfeifenberger hatte in den Achtzigern auch eine antibiotikaresistente Grippe von Sri Lanka aus eingeschleppt, an der nicht nur das halbe Nordend erkrankte, sondern sogar eine Ansagerin des hessischen Rundfunks, die öfter im Nordend übernachtete. Die Arme erlitt eine Gesichtslähmung, die ihr nur noch Auftritte im Dritten Programm und nach 23 Uhr erlaubte. Der Fall wurde allgemein als tragisch angesehen, zumal sich ihr Gatte wegen der häufigen Übernachtungen im Nordend von ihr trennte.
    Wenn Pfeifenberger erst einmal ein Gerücht einschleppte, dann hielt es sich gegen jedes vernünftige Argument wie eine Heuschreckenplage. So auch damals, als behauptet wurde, der bisexuelle Outcast Manderscheid lebe eine Zweitexistenz in einem Reihenhaus in Bad Vilbel mit Frau und drei erwachsenen Kindern. Die gerade aufkeimende, hochromantische Beziehung mit einem Feuerschlucker aus Preungesheim ging darüber in die Brüche.
    Diesmal wurde gemunkelt, ein Immobilienfonds sei gegen die Wand gefahren worden. Nicht einmal die Bank, die den Fonds angeboten hatte, war bekannt. Aber jeder konnte betroffen sein.
    Es handelte sich um einen geschlossenen Fonds. Angeblich eine todsichere Sache. Mehrere Immobilien in bester Lage. Geschäftsgebäude. Über Jahrzehnte an Banken vermietet. Nach dem Ablauf von fünfundzwanzig Jahren sollten die Anleger ihre Anteile zu 150 Prozent zurückbekommen. Bis dahin gab es einen garantierten Zinssatz von zuerst zweieinhalb, dann fünf, schließlich sogar sieben Prozent. Die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten waren aufgrund einer satten Verlustzuweisung optimal.
    Die Luft brannte in der Stadt. Manche Banken entschlossen sich zu schriftlichen Erklärungen, in denen sie gleich lautend versicherten, nichts mit dem besagten Fonds zu tun zu haben. Doch wirklich beruhigen konnte das niemanden.
    »Da ist man geradezu glücklich, über kein Vermögen zu verfügen, das man bei solchen Geschäften aufs Spiel setzen könnte«, sagte Germersheimer. Die anderen seufzten bloß. Jeder hoffte, nicht betroffen zu sein.
    Pfeifenberger erklärte: »Ich finde, der Vorgang zeigt nur, dass der Markt durchaus auch pädagogische Momente hat: Er erzieht die Kleinanleger zur Demut. Der Kapitalismus ist keine Spielwiese. Nur ernsthafte und verantwortungsvolle Charaktere dürfen sich den Unbilden der Konjunktur aussetzen. Ich erinnere nur an die Ernüchterung, die an der Börse eingetreten ist …« Damit war jedem klar: Pfeifenberger gehörte nicht zu den unglücklichen Zeichnern des havarierten Fonds.
    »Ich sehe das etwas anders«, vermerkte Schmalenbach ernst. »Die Bank hat den Menschen das Blaue vom Himmel versprochen. Es wird welche geben, die haben ihr Leben lang gespart. Sie wollten keine großen Spekulationsgewinne, sie wollten bloß etwas Geld fürs Alter anlegen. Man kann diesen Menschen nicht sagen: Ihr seid naiv gewesen, euch den Kräften des Marktes auszusetzen. Unsere Gesellschaft muss die Anleger schützen.«
    Jetzt wussten alle: Schmalenbach gehörte zu den Gelackmeierten.
    Eigentlich war die Sache damit erledigt: Die Schadenfrohen hatten ein Opfer gefunden. Die anderen konnten jemanden bedauern und sich glücklich schätzen, zum fraglichen Zeitpunkt nicht flüssig genug gewesen zu sein, um auf die Versprechungen der Bank hereinzufallen.
    Doch Pfeifenberger, der Mephisto aus dem Nordend, gab sich nicht zufrieden. »Ich habe aus einer verlässlichen Quelle erfahren, dass es sich nicht nur um

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