Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen
und schloss die Augen.
»Er wird’s verkraften.«
Schmalenbach war außer sich. »Wie kannst du mich in eine solche Verlegenheit bringen?« Seine Stimme drohte weinerlich zu werden. »Stell dir vor, er kommt spätabends nach Hause und will sich die Zigarette anzünden, auf die er sich den ganzen langen Arbeitstag gefreut hat, und in dem Päckchen ist – nichts. Das ist doch eine Tragödie. Er wird glauben, ich habe meinen Schabernack mit ihm getrieben. Mein Gott, wie wird er mich hassen.«
Elkes Zigarette war aufgeraucht. Sie schaute den Stummel ein letztes Mal an, bevor sie ihn wegwarf. Dann fiel ihr was ein. Sie kramte im Handschuhfach. »Ich habe doch letzte Woche hier irgendwo drei Euro deponiert – falls mir unterwegs die Zigaretten ausgehen …«
Schmalenbach schöpfte Hoffnung, er sah eine Chance, wieder ein gerechter Mensch zu werden. »Mensch, Elke, wir könnten ihm auf dem Rückweg das Geld geben.«
Elke schaute auf: »Spinnst du? Drei Euro für die dämliche Wischerei! Das ist mein Geld, und ich hole mir dafür jetzt ein Päckchen Zigaretten aus dem Automaten.«
Schmalenbach konnte es nicht fassen. »Herzloses Ding!«, schimpfte er, während Elke fieberhaft weitersuchte. »Mit diesen drei Euro könntest du einem jungen Menschen seinen Glauben an diese Gesellschaft zurückgeben. Aber du denkst nur an deine dämliche Pafferei.«
Elke lehnte sich ächzend zurück. »Nun krieg dich wieder ein! Die drei Euro sind nicht da.«
Schweigend fuhren sie zurück. An der Kreuzung wurde gerade der eingedrückte BMW geborgen. Der Muskelmann schlug einem Polizisten die Mütze vom Kopf und wurde abgeführt, die Blondine stieg mit ihrem Schminkköfferchen in den Volvo. »Das sind Schicksale«, seufzte Elke. »Und du machst dir Gedanken um einen Punk.«
»Er ist weg«, sagte Schmalenbach bitter. »Wahrscheinlich hat die Polizei ihn vertrieben.«
»Nicht mehr als richtig«, sagte Elke. Schmalenbach fragte sich, was ihn mit ihr verband.
Als sie in ihre Straße einbogen, lief der Punk gerade über den Zebrastreifen. Schmalenbach hielt und sprang aus dem Wagen. »Es war keine Absicht«, bestürmte er den Jungen. »Ich dachte, in der Packung wäre noch eine Zigarette drin.«
Der Junge schaute ihn groß an. Er rauchte. »Kein Problem. Dafür habe ich im Stanniol drei Euro entdeckt und mir gleich ’ne Packung Marlboro aus ’m Automaten geholt.«
Schmalenbach atmete auf. »Ich dachte schon …«
Elke streckte ihren Kopf aus dem Seitenfenster. »Das war mein Zigarettengeld.«
»Sie können es natürlich behalten«, flüsterte Schmalenbach.
Elke wirkte verkniffen. »Würden Sie mir dann wenigstens eine Zigarette aus Ihrer Packung geben?«
»Nö!«, antwortete der Punk. »Das sind meine. Da bin ich eigen.«
Elke konnte es nicht fassen. »Sie haben doch ’ne ganze Packung voll, und ich habe keine.«
»Aus Prinzip nicht«, sagte der Punk. »Wenn man mal damit anfängt …«
Schmalenbach sagte leise: »Sie ist süchtig. Sie braucht Zigaretten wie die Luft zum Atmen.«
Der Punk inhalierte tief und sagte: »Das verstehe ich gut.«
Elke streckte die Hände aus. »Bitte!«
»Kaufen Se sich doch selbst welche! Ich hab’ hart dafür geschuftet«, sagte der Punk.
»Ist das nicht etwas klein kariert?«, fragte Schmalenbach. »Wir sind doch Freunde, oder?«
»Dann bin ich eben klein kariert!« Damit ging der Punk seiner Wege.
An diesem Abend saßen Schmalenbach und Elke lange im abgedunkelten Zimmer. »Man muss in diesen Zeiten über vieles neu nachdenken«, sagte Schmalenbach, bevor er zu Bett ging. Nachts hatte er einen Traum. Er stand an der Kreuzung und ließ sich von vier Punks den Wagen grundreinigen. Als sie fertig waren, sprang die Ampel auf Grün, und er preschte davon. Seine Eltern standen am Straßenrand und applaudierten.
Frau Dr. Schubiak
Schmalenbach ging nie zum Arzt. Er war der Überzeugung – und empirische Erhebungen in seiner weitläufigen und überaus siechen Verwandtschaft bestätigten das –, dass, wer erst einmal zum Arzt rannte, auch wenig später ernsthaft erkrankte.
Natürlich reichte diese Grundeinstellung allein nicht aus. Schmalenbach lebte gesund. Elkes diverse Nudelgerichte unterstützten ihn dabei. Es ist noch viel zu wenig gesagt worden über den positiven Einfluss von Kohlehydraten auf den menschlichen Organismus. Vor allem mit dicken Soßen.
An Schmalenbach krankte unser Gesundheitswesen bestimmt nicht. Im Gegenteil: Schmalenbach zahlte seine Krankenkassenbeiträge, nahm
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