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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Wasser über Jahre hinweg ungenießbar. Wer würde aus solch einem Brunnen trinken wollen?
    Also ging Inga zur Quellmulde, und als sie zurückkam, sah
sie zwei alte Leute vor dem Flechtzaun stehen, der das gesamte Gehöft umgab und vor ungebetenen Gästen schützen sollte. Ungebeten waren solche Gäste wie diese zumeist, es handelte sich um Landstreicher, Bettler, die durch die Wälder zogen und an einem jeden Hof nach einer Unterkunft oder etwas zu essen fragten.
    »Kommt nur herbei. Ich habe Käsewasser für euch aufbewahrt, und vielleicht können wir noch zwei, drei Stücke hartes Brot entbehren. Aber verhaltet euch ruhig und verschwindet gleich wieder. Eine Schlafstatt gibt es hier nicht für euch.«
    Inga öffnete das Holzgatter und ließ die beiden auf den Hof. Es handelte sich um eine Frau mittleren Alters und einen Greis. Diese beiden waren schon häufig hier gewesen, doch wenn Rothger, Ansgar oder eine der Zwillinge sie sahen, wurden sie davongejagt. Nur Inga und auch Ada kümmerten sich um sie, gaben ihnen das wenig schmackhafte, aber gehaltvolle Wasser zu trinken, das beim Bereiten von Käse aus den Tüchern troff; verschenkten ab und an einen abgetragenen Umhang oder löchrige Lumpen. Aber nächtigen durften die Armen nicht auf dem Hof. Damit hätten sich die Wohltäterinnen großen Ärger eingehandelt, und Inga war sich auch gar nicht sicher, inwieweit diesen Leuten tatsächlich zu trauen war. Dennoch taten sie ihr leid, und seitdem der neue Glaube Fuß zu fassen begann, war es fast schon zu einer heiligen Pflicht geworden, den Armen zu helfen. Damit tat man angeblich etwas Gutes für das eigene Seelenheil und konnte manch schlimme Sünde ein wenig verblassen lassen.
    Neben dieser Ablassmöglichkeit gab es noch einen weiteren Grund, weshalb Inga den Armen half: Sie kamen viel herum, sehr viel weiter als selbst der umtriebigste Bauer, und deshalb kannten sie so manche Neuigkeit, und für Neuigkeiten war Inga immer aufgeschlossen.

    Sie führte die beiden hinter den Holzschuppen, dort, wo sie aus ähnlichem Grund in der Nacht ihr Kleid getrocknet hatte: Hierher verirrten sich die Bewohner des Hauses zu dieser Jahreszeit nicht so häufig. Brennholz wurde nur noch zum Kochen benötigt, und dazu reichte der Vorrat an Scheiten vor dem Haupthaus eine Weile aus.
    Die beiden ließen sich ihre ledernen Schläuche mit Käsewasser füllen. Inga verzog ihr Gesicht, als sie die Molke aus einem Krug in die übelriechenden Behälter der Bettler goss. In diesen Schläuchen hatte sich schon alles an Flüssigkeiten vermischt, was die Menschen entbehren konnten: Reste von Suppen und Brühen, abgestandenes Bier, geronnene Milch und Käsewasser. Aber es schien den beiden nichts auszumachen. Gierig setzten sie das Behältnis an und tranken, so viel sie konnten, damit Inga ihnen eine möglichst große Menge als Wegzehrung nachschenken konnte.
    »Nun, von wo seid ihr gekommen?«, fragte sie die Landstreicher und reichte jedem ein großes Stück alten Brotes.
    »Von Huxori hat es uns herverschlagen. Über den heiligen Berg sind wir gewandert. Bei den Mönchen dort oben waren wir zuletzt«, antwortete die Frau kauend. Sie zählte wahrscheinlich erst dreißig bis fünfunddreißig Jahre, doch das Leben hatte ihr schon gehörig mitgespielt. In dem sehr runzeligen, wettergegerbten Gesicht fiel vor allem der eingefallene Mund auf. Sie hatte kaum noch Zähne, und die wenigen, die dunkel zwischen ihren schmalen Lippen hervorlukten, schienen so verfault zu sein, dass es erbärmlich aus ihrem Munde stank. Ihr Rücken war krumm, und ihre Hände verrieten, dass sie die meiste Zeit ihres Lebens viel gearbeitet hatte. Wahrscheinlich, so dachte sich Inga, war auch sie eine arme, kinderlose Witwe, nur mit dem Unterschied, dass sie keinen Schwager gehabt hatte, der sie zu sich ins Bett nahm.

    Dem alten Mann, ihrem Begleiter, fehlte die rechte Hand, und quer durch sein Gesicht zog sich eine tiefe Narbe. Er war ein Kriegsversehrter; seinem Akzent nach zu urteilen, nicht aus dem Sachsenland. Für die Franken hatte er gekämpft, mehr als zehn Jahre, hatte mit dem König Karl das Osterfest auf der Eresburg verbracht. Doch dann war er im Kampf zum Krüppel geworden, und seitdem streifte er durch das alte Feindesland und lebte von den Almosen derer, die er damals zu erobern ausgezogen war.
    Inga kannte seine Geschichte bereits, er wurde nicht müde, sie ein jedes Mal, wenn er herkam, zu erzählen.
    »Bei den Mönchen wart ihr? Na, dann hat man euch

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