Die Schluesseltraegerin - Roman
hereinkamen. Inga stellte sich schlafend, öffnete dabei aber ein Auge leicht, um zu sehen, in welchem Zustand der Herr des Hauses, ihr Vormund und Geliebter, heimkam. Und dieser Zustand war äußerst schlecht.
Zunächst dachte Inga, er sei einfach nur volltrunken, doch dann bemerkte sie, dass er abgesehen davon auch verletzt war. Gernot zog ihn mehr, als dass er ihn stützte, und so laut, wie Ansgar stöhnte und fluchte, waren bald alle Bewohner des Hauses hellwach. Inga saß auf ihrem Lager und schaute zu, wie Ada ihm geduldig eine Platzwunde an der Schläfe auswusch, außerdem hatte er ein gefährlich angeschwollenes Auge und eine aufgeplatzte Unterlippe. Seinen Flüchen nach zu urteilen, war er verprügelt worden, das stand außer Zweifel.
»Dieses Schwein. Dieser verdammte Hundsfott. Das zahl ich ihm heim. Dieser hinterhältige, feige Mistkerl, dieser kleine, schmächtige Hungerhaken.«
»Von wem spricht er?«, wandte sich der alte Ulrich an Gernot, der einen noch einigermaßen vernünftigen Eindruck machte.
»Vom jungen Bero, Sohn des Meinrad.«
Inga durchfuhr ein Schreck. Bero, ihr jüngerer Bruder. Er hatte Ansgar so zugerichtet?
»Der kleine Wicht? Das ist doch noch ein halbes Kind und ein Schmächtling dazu?« Der alte Ulrich lachte, und Ansgar blickte ihn aus seinem einen, gesunden Auge wütend an.
»Ich war nicht dabei. Habe ihn nur gefunden, wie er dalag«, antwortete Gernot.
»Büßen wird er es mir. Und du! Du da hinten: Keinen Tag länger wirst du mehr in meinem Hause bleiben. Du Otterngezücht.« Diese Worte galten Inga, ließen sie aber seltsam unberührt. Langsam war sie es gewohnt, die mitleidigen oder auch böswilligen Blicke der Bewohner des Hilgerschen Hofes auf sich zu spüren. Und was Ansgar betraf: Der würde sich am nächsten Tag schon wieder beruhigt haben. Sie kannte ihn mittlerweile sehr gut, und sie wusste genau, wie er zu besänftigen war. So dachte sie jedenfalls.
VIII
Z wei Tage lang lag Ansgar auf seinem Lager. Sein Gesicht war am Morgen nach der Prügelei mit Bero kaum wiederzuerkennen. Inga musste sich das Lachen verkneifen, denn er glich mehr einem Bergtroll als dem schönen sächsischen Friling, für den man ihn allgemein hielt. Von seinem rechten Auge war nicht mehr zu sehen als ein Schlitz, der sich tief unter einem riesigen Wulst verbarg. Die Nase war feuerrot und dicker als ein Apfel. Am meisten amüsierte sich Inga jedoch über seinen Mund, der so angeschwollen war, dass seine Lippen an zwei enorme Würste erinnerten.
Es war bereits zur fünften Stunde am nächsten Tag, als Inga sich seiner Bettstatt näherte, um ihm kalte, mit einer Tinktur aus Sonnwend- und Isenkraut getränkte Tücher anzubieten, die er auf sein geschundenes Gesicht legen sollte. Sie hatte dieses Medikament selber hergestellt, ein altes Rezept ihrer Großmutter Tilda, das eine ausgezeichnete Heilwirkung bei nässenden und Schürfwunden besaß. Und ein kühles Tuch konnte gegen Prellungen, wie Ansgar sie zur Genüge im Gesicht trug, nicht schaden. Man hätte ihn schon in der Nacht damit versorgen sollen, um ihm ein solch grausiges Erscheinungsbild zu ersparen.
Doch in der Nacht hatte er Inga zu sehr beschimpft, als dass sie ihm eine Linderung seiner wahrscheinlich selbst verschuldeten Schmerzen gegönnt hätte. Und auch an diesem Vormittag
hatte sie die Umschläge zunächst zu Ada gebracht, damit diese ihren Mann damit versorge.
»Das kannst auch du machen«, hatte diese nur gesagt und Inga dabei nicht einmal angeschaut. Die Worte hatten nicht böse, aber auch nicht freundlich geklungen, sondern einfach gleichgültig. Ganz nach Adas Art. Und so ging Inga also nun zum leidenden Ansgar ans Krankenlager und sagte vorsichtig:
»Hier sind kalte Umschläge zu deiner Linderung. Eine Salbe aus Schweineschmalz, Honig und Kamille wird ein wenig gegen die wunden Stellen helfen.«
Langsam drehte er seinen Kopf und schaute Inga mit seinem einen, gesunden Auge an.
»Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst verschwinden?«, brummte er undeutlich durch seine geschwollenen Lippen.
»Ja, das hast du. Aber du warst sehr betrunken und außer dir. Ich denke, du würdest es heute sicherlich bereuen, mich fortgeschickt zu haben«, flüsterte sie und legte vorsichtig die getränkten Leinentücher auf sein Gesicht.
»Du bist dir deiner Sache nur allzu sicher«, brummte er weiter unter dem Tuch, und dabei schob sich seine Hand langsam zwischen ihre Beine.
Gelassen griff Inga danach und legte sie ihm zurück auf
Weitere Kostenlose Bücher